In den Fesseln des Wikingers
streifte es über. Ein Stück von ihr entfernt hörte sie Thore ärgerlich fluchen, denn er vermisste seinen Gürtel und beide Schuhe.
„Weshalb bist du eigentlich hierhergekommen, wenn es dir dort oben in deiner Heimat so gut gefallen hat?“, fragte sie in die Dunkelheit hinein, denn sein verächtliches „schon gar nicht hier“, hatte sie verletzt.
Er gab keine Antwort, denn es war nicht der Zeitpunkt, ihr die Wahrheit anzuvertrauen. Die Gier nach Beute hatte ihn getrieben, aber mehr noch die Einsamkeit, die ihn in den langen, dunklen Zeiten peinigte.
Sie schlang ihren Gürtel um den Leib und spürte plötzlich eine abgrundtiefe Traurigkeit. Sollten sie wirklich so auseinandergehen? Sie liebte ihn doch, und er liebte sie.
Er schien den gleichen Gedanken zu haben, denn sie spürte seine warme Hand, die ihren Arm fasste.
„Denk darüber nach, Rodena“, bat er. „Ich bin der, der ich bin und werde mich deinetwegen nicht verbiegen.“
„Und was ist mit mir?“
„Du bist ein Weib“, erklärte er mit großer Selbstverständlichkeit. „Es ist deine Sache, dich an den Mann, der dich erwählt hat, anzupassen.“
„Aha ...“, sagte sie tonlos und ertappte sich bei dem bösen Gedanken, dass jene Solveig oder Estrith vielleicht ihre Gründe gehabt hatte, sich einen anderen Bräutigam zu suchen.
„Komm!“, ordnete er an. „Lass uns zurück ins Lager gehen. Wenn du zu müde bist, werde ich dich tragen, Rodena.“
Sie war bekümmert und tatsächlich zum Umfallen müde, aber sie biss die Zähne zusammen und ging hinter ihm her, bis sie die noch glimmenden Feuerstellen der Wikinger erblickten.
3. Kapitel:
Sigurd, der Däne
Die schwache Glut in der Asche warf einen rötlichen Schein über das Wikingerlager, sie konnten die Männer erkennen, die sich rings um die Feuerstelle auf Decken zum Schlafen niedergelegt hatten. Nur der flachshaarige Halvdan saß im Sand, stocherte hin und wieder mit einem Ast im Feuer herum und bemühte sich, nicht einzuschlafen, denn er hatte Wache zu halten.
Als er seinen Anführer aus der Dunkelheit auftauchen sah und dann auch die Druidin erblickte, dachte er sich seinen Teil und grinste verständnisvoll. Die Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, schluckte er jedoch wieder hinunter, denn die grauen Augen seines Anführers waren warnend auf ihn gerichtet.
Thore hatte Rodenas Zögern bemerkt und versuchte ihr auf seine Art beizustehen. Weshalb schämte sie sich vor seinen Kameraden? Sie würde seine Frau werden und stand unter seinem Schutz. Keiner würde es wagen, sie zu beleidigen.
„Komm!“
Er legte den Arm um ihre Schultern, um sie zu sich in sein Zelt zu ziehen, doch sie wehrte sich.
„Ich möchte allein liegen! Bitte versteh mich. Ich muss über alles in Ruhe nachdenken.“
Er atmete tief ein und aus, um nicht zornig aufzubegehren, denn ihre Weigerung verletzte ihn zutiefst. Enttäuscht ließ er sie gehen, sah ihr auch nicht nach, sondern kroch ins Zelt, zog seine Decke zurecht und ließ sich darauf nieder.
Ruhe kehrte wieder ein im Lager, nur die Schnarchgeräusche einiger Männer waren zu hören, in der Ferne sang der Wind sein hohles Lied in den Felsdurchbrüchen. Das Meer folgte dem Mond, der das Wasser immer weiter vom Strand fortzog, ein paar Krabben, die von der Ebbe überrascht worden waren, gruben sich im feuchten Sand ein und warteten auf bessere Zeiten.
Am frühen Morgen weckte ein lauter Ruf die Schlafenden.
„Drachenboote auf dem Meer. Ein paar Männer laufen über den Sand zu uns hinüber!“
Die Wikinger – eben noch im Tiefschlaf – fuhren von ihren Decken hoch und griffen zu den Waffen. Rodena, die fast die ganze Nacht wachgelegen hatte, richtete sich schlaftrunken auf und blinzelte auf die weite Fläche, wo gestern Abend noch die Wellen gespielt hatten. Wolken waren aufgezogen, lagen tief und regenschwer über dem Watt, doch in der Ferne zeichneten sich deutlich die schwarzen Umrisse mehrerer Drachenschiffe vor dem Horizont ab. Wohl an die zwanzig Männer waren aus den Booten gestiegen, um zum Strand hinüberzugehen.
„Das sind die unsrigen!“, rief einer. „Sie haben uns gefunden und werden sich uns wieder anschließen. Ich kann den dicken Knut erkennen, und neben ihm stakst der lange Olav durch die Pfützen!“
„Bist du blind?“, entgegnete ein anderer. „Es sind weit mehr als zwei Drachen da draußen. Ich sehe sechs Boote – nein, es sind sieben oder gar acht.“
„Es ist Sigurd, der mit seiner Begleitung auf uns zukommt“,
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