In den Fesseln des Wikingers
sagte Thore in dumpfem Zorn. „Ich erkenne ihn an seinem Gang und an dem roten Bart.“
„Bei Odin – du hast recht, Thore. Dieser Hund hat unsere Leute niedergemacht und sich die Boote genommen.“
„Ich glaube eher, dass die unsrigen sich ihm freiwillig angeschlossen haben. Würden Knut und Torben sonst so fröhlich neben diesem Dreckskerl herlaufen?“
Die Wahl des Lagerplatzes erwies sich jetzt als fatal, denn die steilen Felsklippen schnitten sie vom Landesinneren ab, und ihr braves Drachenboot lag hilflos wie eine Robbe im Sand.
„Wir werden ihnen zeigen, was wir von solchen Verrätern halten!“, brüllte Halvdan und durchschnitt die Luft wütend mit seiner Schwertklinge.
Doch Ubbe schüttelte den Kopf und trat zu Thore, der mit düsterer Miene auf die ankommende Gruppe starrte.
„Wenn sie uns niedermachen wollten, würden sie in Scharen kommen. Mir scheint eher, dass es auf ein Angebot hinausläuft.“
Thore spuckte aus. Er konnte sich denken, welches Angebot Sigurd ihm machen wollte. Er würde ihn auffordern, sich zu unterwerfen – eine Demütigung, mit der er sich niemals abfinden könnte. Er warf einen raschen Blick über die Schulter, um nach Rodena zu sehen. Er würde sie schützen, solange er es vermochte, und lieber sterben, als sie Sigurd zu überlassen. Doch die Übermacht war gewaltig.
Thores Männer bildeten einen Halbkreis, um die Ankommenden zu empfangen, und jeder hielt seine Waffen bereit. Doch Sigurd schien anderes im Sinn zu haben, denn er blieb in Rufweite stehen und hielt beide Hände wie einen Trichter vor den Mund. „Ich komme, um mit dir zu reden, Thore Eishammer.“
„Dann lass deine Männer zurück und geh mir allein entgegen!“, verlangte Thore.
Rodena war erschrocken bis zu der steilen Felswand zurückgewichen. Voller Entsetzen verfolgte sie das Geschehen. Wenn es zum Kampf kam – soviel war sicher –, dann war Thores Tod beschlossene Sache. Hatte sie nicht öde Felsen in ihrem Traum gesehen? War es dieser Strand, von steilen Felsen begrenzt, an dem sein Schicksal sich erfüllen würde?
Sie sah, wie Thore sich aus der Schar seiner Männer löste und ins Watt hinausging – von der anderen Seite her schritt ein rotbärtiger Mann auf ihn zu, auch er war allein, seine Begleiter blieben zurück.
Es ist jener Feind, den er damals besiegte, dachte sie beklommen. Was werden sie tun? Gegeneinander kämpfen?
Die beiden Männer blieben wenige Schritte voneinander entfernt stehen, und sie konnte sehen, dass sie nicht kämpften, sondern redeten. War die Gefahr gebannt, oder war dieses Gespräch nur das Vorspiel der Kampfhandlungen? Drüben am Horizont waren inzwischen zwei weitere Drachenschiffe zu sehen. Sigurd musste eine ganze Flotte zusammengebracht haben.
„Rodena!“
Sie fuhr zusammen, als Papia vor ihr auftauchte und sich ihr in die Arme warf. Das Mädchen war blass vor Angst und zugleich unendlich froh, dass Rodena doch nicht fortgegangen war und nun in der Not an ihrer Seite sein würde.
„Es sind Feinde. Sie werden Ubbe töten“, schluchzte sie. „Er hat gesagt, dass er lieber sterben will, als mich ihnen zu überlassen.“
Rodena streichelte Papias zuckenden Rücken und erinnerte sie daran, dass Ubbe schon einmal um sie gekämpft hatte, ohne gleich sein Leben einzubüßen.
„Sie reden viel, diese wilden Burschen. Doch nicht immer meinen sie es so, wie sie es sagen“, tröstete sie Papia, ohne selbst ganz überzeugt von ihren Worten zu sein. „Schau doch! Die Anführer verhandeln miteinander. Vielleicht werden sie gar nicht kämpfen, sondern sich einigen.“
„Glaubst du?“, meinte Papia hoffnungsvoll und wischte sich die Augen, um nach den beiden Männern zu spähen. Tatsächlich – der wilde Kerl mit dem roten Bart redete wie ein Wasserfall auf Thore ein. Welche Miene Thore zu diesem Redefluss machte, konnte man nicht sehen, denn er stand mit dem Rücken zu ihnen. Immerhin schien er geduldig zuzuhören, denn er hatte nicht die Fäuste geballt, sondern es hatte den Anschein, als stünde er mit verschränkten Armen. Am Strand warteten ungeduldig Thores Männer, flüsterten miteinander, hielten sich zum Kampf bereit und starrten misstrauisch auf Sigurds Begleiter, die draußen im Watt verharrten.
„Was mag er von Thore wollen?“, flüsterte Papia.
„Ich weiß es nicht, Papia.“
„Wenn Ubbe stirbt, will ich auch nicht mehr leben“, jammerte sie. „Ich bin seine Frau.“
Rodena stutzte und schob die Kleine ein wenig von sich ab, um ihr
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