In den Fesseln des Wikingers
sie zum Weib nehmen wollte? Musste Odin ihm ausgerechnet heute den letzten Tag bereiten? Aber so waren sie, die Götter. Jahrelang hatten sie sich von ihm ferngehalten, und jetzt, da er sie nicht gebrauchen konnte, mischten sie sich in sein Dasein ein.
Er sank zurück in die dunkle Bewusstlosigkeit, und ihm schien, als triebe er auf einem Boot ohne Segel und Ruder über das unruhige Meer. Dann spürte er Wärme, jemand berührte zart seine Stirn, energische Hände massierten seine kalte Brust. Sie war es, Rodena! Sie war bei ihm, sie lag an seiner Seite und umschlang ihn mit ihren Armen.
Plötzlich wusste er, dass er für diese Frau gegen Götter und Riesen kämpfen würde, er würde sie nicht hergeben, nicht im Leben und erst recht nicht im Tod. Sie würde ihn begleiten, auch nach Walhall, und es war ihm völlig gleich, ob Frauen dort zugelassen waren oder nicht.
Immer noch rauschten die Wogen um ihn – war er am Ende gar nicht mit den Walküren unterwegs? Trieb er vielleicht gar auf Ägirs feuchtes Reich zu, wo diejenigen bleiben mussten, die das Meer für immer verschlang? Er spürte Rodenas warmen Körper, hörte, dass sie auf ihn einredete, doch er begriff den Sinn ihrer Worte nicht.
Sollte er sie tatsächlich mit in dieses trübe, dunkle Dasein am Grunde des Meeres führen? Nein, dazu hatte er kein Recht. Er würde allein in das feuchte Totenreich sinken, sie sollte oben auf der grünen Erde bleiben und leben.
Immer wieder schwanden ihm die Sinne, Übelkeit plagte ihn, nie gekannte Kraftlosigkeit riss ihn in einen kreisenden, dunklen Abgrund. Wenn er daraus auftauchte, hörte er ihre Stimme. Was redete sie nur für ein seltsames Zeug?
„Weißt du, wie schwer du bist, verdammt? Du könntest wirklich ein wenig mithelfen. Muss ich denn alles alleine machen?“
Sie zerrte an ihm herum, es tat weh, und er hörte sich ärgerlich knurren. Was wollte sie eigentlich? Sollte er jetzt Bänke und Tische bauen, wie sie vorhin noch gefordert hatte? Die brauchten sie nicht, denn in Walhall war der Tisch ja für sie gedeckt …
„Zum Donnerwetter! Stütz dich wenigstens mit den Beinen ab, sonst fällst du gleich in den Sand wie ein Sack voller Steine!“
Er spürte Felszacken, die über seinen Bauch rieben, dann durchfuhr ihn ein solch bestialischer Schmerz, dass er für einen Augenblick gleißende Lichter vor seinen Augen sah. Er war jetzt hellwach, griff brüllend um sich und klammerte sich an eine harte Felskante.
„Das tut mir schrecklich leid“, hörte er Rodenas erschrockene Stimme. „Ist es sehr schlimm? Ich konnte dich einfach nicht halten ...“
Er murmelte eine Reihe böser Flüche, bevor ihn die Bewusstlosigkeit wieder erlöste. Tief tauchte er ein in Ägirs dunkles, kaltes Reich, trieb zwischen wehenden Meeresgewächsen dahin, graue Fischleiber zogen an ihm vorüber, dann hellte sich die Dunkelheit auf. Er blinzelte und sah über sich den blauen Himmel. Wolken trieben darüber hin wie eine Herde Lämmer, an seinem Allerwertesten war es empfindlich kalt, auch am Rücken und am Hinterkopf. Jemand hatte ihn an beiden Füßen gefasst und zog ihn durch den feuchten Sand.
Er versuchte, den Kopf zu heben, um zu sehen, wer ihn auf solch rüde Art von der Stelle bewegte, doch er war zu schwach. Muscheln zerkratzten seine Haut, angeschwemmter Seetang hing kitzelnd in seinem Haar – was, zum Donnerwetter, geschah mit ihm? Wo war die Walküre geblieben? Hatte sie ihn abgeworfen und beschlossen, ihn dem Meergott zu überlassen? Oder war er schon unterwegs in Hels tristes Totenreich? Dort, wo die Menschen nur Freudlosigkeit und rauhe Kälte erwartete? Das war nicht anständig von den Göttern, er war im Kampf gefallen und hatte Anspruch auf einen Platz in Walhall. Verflucht – wieso wusste man niemals, was sie mit einem vorhatten?
Seine Beine fielen in den Sand, und er hörte ein tiefes Stöhnen.
„Ich kann nicht mehr!“
Ein Schatten glitt über ihn, dann spürte er ihren weichen, zärtlichen Körper, der sich über ihn legte. Hände, die durch sein Haar glitten und den Tang daraus entfernten, Lippen, die sich auf seinen Mund legten …
Langsam kam ihm der Verdacht, dass er vielleicht noch gar nicht tot war. Sie war bei ihm, Rodena, sie schluchzte vor Erschöpfung, er spürte ihre warmen Tränen und schlang tröstend den Arm um sie. Ihr langes, dunkles Haar war über seine Brust gebreitet und kitzelte, wenn der Wind es anhob.
„Ich schaffe es, Thore“, murmelte sie. „Ich brauche nur eine kleine
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