In den Fesseln des Wikingers
Zeremonie zu vollziehen, sondern kehrte eilig in die Höhle zurück. Thore lag lang ausgestreckt auf seinem Laubbett, sein Brustkorb hob und senkte sich ruhig und gleichmäßig.
Erleichtert stellte sie fest, dass das Fieber gesunken war. Sie hatte ihn unterschätzt, er schien die schlimme Verwundung viel rascher und besser zu überwinden, als sie zuerst befürchtet hatte, und holte sich nun im Schlaf die verlorenen Kräfte zurück. Sie sah nach seiner Wunde, legte neues Moos auf und ließ sich dann aufseufzend neben ihm nieder. Sein Körper hob sich hell von dem braunen und roten Herbstlaub ab, auf das sie ihn gebettet hatte, und sie konnte es sich nicht verkneifen, mit der Hand über seinen sehnigen Schenkel zu streichen, den kraftvollen Muskelsträngen nachzuspüren und dann hinauf zu seinen Lenden zu gleiten. Sein Gemächt war von krausem, rotblondem Haar umgeben, das weich an der Innenfläche ihrer Hand kitzelte, dann glitt sie über seinen Bauch, fühlte dort kleine Wellen, so wie das Meer sie im Sand bildet, wenn die Flut sich zurückzieht. Als sie die Hand zärtlich durch sein Brusthaar schob und dabei eine der dunklen Brustwarzen berührte, zuckte er zusammen. Er schnaufte, hustete und wandte den Kopf auf die andere Seite, doch er erwachte nicht. Sie zog die Hand zurück – auf keinen Fall wollte sie seinen Schlaf stören, den er so nötig brauchte.
Jetzt stellte sie zu ihrem Unglück fest, dass ihr Magen knurrte und sie ganz schwach vor Hunger war. Sie dachte an die Haselnüsse, die unter dem Strauch gewiss noch zu finden waren – falls die fleißigen Eichhörnchen sie nicht bereits alle eingesammelt hatten. Pilze und Wurzeln konnte sie suchen, Krebse und Fische im Bach fangen – aber wenn sie längere Zeit hier zubringen mussten, würde diese Nahrung nicht ausreichen, denn der Winter stand vor der Tür. Sie brauchte Korn, einen Topf und vor allem ein warmes Gewand für Thore – ob sie die Bauern darum bitten sollte? Doch ihre Hoffnung, diese Dinge zu erhalten, war nicht sehr groß – weshalb sollten die Bauern einer Druidin helfen, die einen verwundeten Wikinger pflegte. Nein, wenn sie wollte, dass die Bauern sie unterstützten, musste sie ihnen verschweigen, wer sie war und wen sie in ihrer Höhle verbarg. Sie würde ihre Heilkünste anbieten und vielleicht auf diese Weise Nahrung und Kleidung erhalten.
Wenn ich es versuchen will, dann muss ich es jetzt tun, während Thore schläft, dachte sie. Wer weiß, was er wieder anstellen wird, wenn er wach ist.
Das zornige Meckern einer Ziege störte ihre Überlegungen, und sie fuhr erschrocken zusammen. Auch waren draußen vor der Höhle jetzt leise Schritte zu vernehmen, flüsternde Stimmen, dann plötzlich erklang das Weinen eines Kindes.
„Still, Schreihals!“, sagte eine Frau „Du erschreckst sie ja.“
„Lass ihn doch greinen“, sagte eine andere. „Schau, dort steht ein Karren. Es muss jemand hier sein“
„Könnt ihr etwas sehen?“
Die Schritte im knisternden Laub näherten sich, doch schien sich niemand zum Eingang der Höhle zu wagen, denn der Lichtstreifen, der von dort hineindrang, blieb unberührt.
„Die Göttin wohnt nicht in der Höhle, ihr dummen Hühner!“, sagte die heisere Stimme einer Alten. „Sie wohnt drüben am Bach. Dorthin bin ich als junge Frau gelaufen und habe ihr geopfert.“
„Und sie hat tatsächlich geholfen?“
„Wenn ich es sage! Drei Kinder hat sie mir geschenkt und meinen Mann gesund gemacht. Aber dann haben die Priester uns verboten, die Göttin zu besuchen, und sie haben ihren Stein umgestoßen.“
„Wenn der Priester uns erwischt, wird er uns strafen.“
„Wie sollte er uns erwischen? Er ist vor den Wikingern davongelaufen.“
Rodena wagte kaum, sich zu rühren, doch sie ahnte, dass ihre Göttin nicht untätig gewesen war und für sie sorgte.
„Lauf, du fauler Ziegenbock! Nur noch ein kleines Stück, dann bist du deine Last los.“
Was trieben die Frauen da draußen nur? Sie hockte sich dicht vor den Eingang und spähte vorsichtig hindurch, sah jedoch nur hölzerne Schuhe und die Säume brauner Gewänder, wie die Bauern sie trugen. Dazu die vier zottigen Hufe des Ziegenbocks und die Räder des Karrens. Erst nach einer Weile, als die Gruppe sich entfernt hatte, wagte sie sich aus ihrem Versteck und lief unbemerkt hinter den Frauen her.
Sie waren zu dritt, eine von ihnen trug ein Kind auf dem Arm, eine andere hatte einen hohen Reisigkorb auf den Rücken gebunden, die dritte war kleiner als
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