In den Fesseln des Wikingers
Herzog Wilhelm Langschwert förderte die Klöster und strafte all jene, die sich nicht bekehren lassen wollten.
„Habt keine Furcht“, sagte Rodena. „Ich bin die Dienerin der Göttin und erfülle ihren Willen.“
Die Frauen waren erleichtert, zugleich aber auch misstrauisch. Die Fremde war jung und ihre Stimme zwar sanft, doch ihr Auftreten zeigte, dass sie es gewohnt war, respektiert zu werden. Weshalb aber trug sie dann ein solch zerfetztes, fleckiges Gewand?
„Woher kommst du?“, wollte die mittlere wissen. „Wir haben dich noch nie zuvor gesehen.“
„Mein Heiligtum liegt fern von hier in der Bretagne, doch meine Göttin hat mich hierhergeführt.“
Die Frauen waren unschlüssig, ob sie ihr glauben sollten, denn schließlich konnte sie auch eine Landstreicherin sein, die ihre Opfergaben gestohlen hatte. Doch dann wagte sich die Alte, die bisher geschwiegen hatte, einige Schritte näher an die Fremde heran, streckte zögernd die Hand aus und berührte das lange, schwarze Haar der Fremden.
„Wie ist es möglich, dass dein Haar schwarz und dein Gesicht jung ist, während ich doch längst alt und grau geworden bin?“, flüsterte sie. Das Gesicht der alten Frau verzog sich zu unzähligen, kleinen Fältchen, sie strahlte über ein großes, unerwartetes Glück. „Du bist Kira, unsere Druidin. Ich weiß es noch wie heute: Mit Fackeln und Stöcken sind sie in den Wald gelaufen, wollten dich erschlagen und deine Hütte niederbrennen. Dort zwischen den Büschen wirst du noch die verkohlten Hölzer unter dem Laub finden. Aber sie kamen enttäuscht zurück, denn sie fanden dich nicht – unsere Göttin hatte dich vor ihnen bewahrt.“
Rodena starrte die alte Frau verblüfft an. Kira! Damit konnte nur ihre Mutter gemeint sein. Kira war vor vielen Jahren an diesem Ort Priesterin der Göttin gewesen!
Auch die beiden Frauen waren verwundert, und besonders die jüngste, die ihr schlafendes Kind wiegte, schien überzeugt, dass die Großmutter sich irrte.
„Wie kannst du sie wiedererkennen nach so langer Zeit“, raunte sie der Alten zu. „Ich war damals noch nicht einmal geboren, als man die Druidin vertrieb.“
„Ich erkenne sie. Es ist ihre aufrechte Haltung und das lange, schwarze Haar. Auch ihre Stimme ist mir in Erinnerung und die Augen, die so schwarz sind, dass man darin sein eigenes Bild sehen kann …“
„Was redest du da, Großmutter! Ihre Augen sind blau!“
Die Alte sah genauer hin, fuhr sich dann mit der Hand über das Gesicht und war enttäuscht.
„Vergebt mir“, murmelte sie. „Ich bin alt und mein Kopf ist dumpf geworden.“
„Und dennoch hattest du recht!“, sagte Rodena ernst. „Meine Augen sind blau – doch die Augen meiner Mutter Kira sind schwarz wie Kohle.“
„Deine Mutter ...“
„Meine Mutter Kira, die mich das uralte Wissen der Druiden gelehrt hat, seit ich ein Kind war. Kommt, ich werde es euch beweisen und die Zeremonie der Göttin abhalten.“
Als Rodena später zur Höhle zurückkehrte, fand sie Thore auf seinem Lager, wie er verdrießlich an einem Pfeil herumschnitzte.
„Es ist doch immer das Gleiche“, bemerkte er grinsend. „Wenn zwei Weiber zusammenkommen, müssen sie schwatzen. Und wenn es drei oder vier sind, dann nimmt das Gerede niemals ein Ende.“
„Wenn zwei Männer zusammenkommen, dann müssen sie Met miteinander trinken, und wenn es drei oder vier sind, dann werden sie gegeneinander kämpfen“, gab sie ärgerlich zurück.
„Was hast du? Gab es schlechte Nachrichten?“
Sie schüttelte den Kopf und wollte an ihm vorbeigehen, um das Feuer neu zu entfachen, doch er hielt sie am Gewand fest und zog sie in seine Arme.
„Ein Weib, das schweigen kann, ist mehr wert als Silber und Gold“, meinte er lächelnd. „Und doch kann ein vertrautes Gespräch Gespenster bannen.“
Sie hätte fast gelacht, ausgerechnet von ihm diesen Rat zu bekommen. Wann hätte er sich ihr je im Gespräch anvertraut? Alles was sie von ihm wusste, hatte sie entweder von Papia erfahren, oder in seinen Fieberträumen erlauscht. Dennoch beschloss sie, sein Angebot anzunehmen, und sie erzählte ihm, was sie von den Frauen erfahren hatte.
„Es war der Herzog der Normandie selbst, der damals befahl, die Druidin zu töten. Zum Glück konnte meine Mutter rechtzeitig fliehen. Aber weshalb hat sie mir das alles verschwiegen? Ich verstehe es nicht.“
„Nimm es so, wie es ist, Rodena“, meinte er ruhig. „Deine Mutter wird ihre Gründe gehabt haben.“
„Ich habe ihr
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