In den Fesseln des Wikingers
trieb es mit einem ärgerlichen Zuruf voran. Keiner der Krieger bemerkte die beiden Frauen unter der Laubdecke.
Den Rest des Tages lagen sie nahezu bewegungslos in ihrem Versteck, trotzten zudringlichen Spinnen, Käfern und Mäusen, ließen sich auch durch einige hungrige Amseln nicht aus der Ruhe bringen, die im Laub nach Kerbtieren hackten. Gegen Mittag sank feiner Nieselregen durch die Zweige, doch die Laubdecke schützte und wärmte sie. Erst als das Licht gegen Abend abnahm und sich kein weiterer Reiter mehr gezeigt hatte, wagte es Rodena, sich langsam aufzurichten.
„Wie ekelhaft“, klagte Papia und nieste. „Ich habe Spinnen im Haar, und ein kleiner Käfer wollte mir unbedingt ins Ohr kriechen!“
„Sei dankbar, dass Spinnen und Käfer uns Obdach gewährt haben, so haben wir uns vor den Normannen verbergen können.“
„Was tun wir jetzt?“
Rodena zögerte. Was geschehen war, würde niemand mehr ändern können. Wenn Thore in diesem Kampf gefallen war, würde nichts ihn wieder zum Leben erwecken. Und doch musste sie Gewissheit haben.
„Wir sehen nach, ob der Kampf vorüber ist.“
„Oh Himmel! Sollen wir das wirklich tun, Rodena?“
Sie gingen langsam, spähten vorsichtig zwischen den regenfeuchten Stämmen hindurch, stets in der Furcht, auf ein Lager feindlicher Krieger zu stoßen. Doch als sie den Waldrand endlich erreicht hatten und voller Angst über die Ebene blickten, zeigte sich das Grasland menschenleer. Der Boden war zerwühlt, ein zerschlagener Schild lag im Gras, Reste von zerschnittenem Sattelzeug und eine hölzerne Schwertscheide. Dunkle Stellen zeigten an, wo die Erde das Blut der Kämpfer getrunken hatte.
Es war still, nur ein schwacher Abendwind ließ die wenigen Grasbüschel, die noch aufrecht standen, erzittern. Keine einzige Krähe war zu sehen.
„Komm“, sagte Rodena tonlos. „Es ist vielleicht sinnlos, aber wir sehen am Strand nach.“
Sie eilten über den aufgewühlten Boden, sahen nicht nach rechts und nicht nach links, bis sie die ersten unförmigen Granitbrocken erreicht hatten. Hastig kletterte Rodena auf einen der verzauberten Riesen, schob sich vorwärts, bis sie die Kuppe erreicht hatte. Dort blieb sie bewegungslos liegen und blinzelte ungläubig über den Strand. Kleine, graue Wellen rollten geschäftig ans Ufer, Meeresvögel wiegten sich in der Flut, stelzten im Sand umher und pickten nach Muscheln.
Sie störten sich überhaupt nicht an den vielen Wikingern, die im Schutz eines dicken Felsbrockens zusammensaßen und im Begriff waren, trockenes Strandgut für ein Feuer zu stapeln.
***
„Bei Odins blindem Auge!“, brüllte Halvdan und stieß seinem Anführer in den Rücken. „Da sind die beiden ja!“
Thore hatte mit verschränkten Armen aufs Meer gestarrt, jetzt fuhr er herum, als habe ihn ein Blitz getroffen.
„Rodena!“
Da war sie! Es war, als sei ein eiserner Ring zersprungen, der seine Brust zusammengepresst und ihm den Atem genommen hatte. Nach dem Kampf hatte er Boten zur Höhle geschickt, um ihr den Sieg und seine baldige Ankunft zu melden, doch sie waren mit der Nachricht zurückgekehrt, dass die Höhle leer und die Erde am Fuß des Felsens voller Huftritte sei. Er hatte geglaubt, vor einem tiefen Abgrund zu stehen, denn wozu diente dieser Sieg, wenn er sie, Rodena, zugleich verloren hatte?
Er bezwang den Wunsch, auf sie zuzulaufen, um sie in die Arme zu schließen, denn die Blicke seiner Männer waren auf ihn gerichtet, und es schickte sich nicht für einen Krieger, eine solche Schwäche zu zeigen. Langsam schritt er zu den beiden Frauen hinüber, spürte, wie das Glücksgefühl warm in seinem Körper aufstieg und bemühte sich, äußerlich gelassen zu bleiben.
Auch sie war in großer Angst gewesen, er las es in ihrem blassen Gesicht, und das Lächeln, das sie jetzt zeigte, war zwar befreit, doch immer noch ein wenig sorgenvoll.
„Wir glaubten euch in Wilhelm Langschwerts Händen“, gestand er ihr, als sie vor ihm stand. „Wie seid ihr ihnen entkommen?“
„Meine Göttin zwang mich zu fliehen.“
„Dann sollte ich deiner Göttin Dankopfer bringen. Verflucht, wer konnte ahnen, dass Wilhelms Männer diese Höhle kannten und sich aufmachten, sie zu durchsuchen!“
Sie kicherte. „Vielleicht waren sie mit dem Kampf gegen die Wikinger nicht ganz ausgelastet und haben aus Langeweile den Wald durchkämmt.“
Er lachte laut auf – so liebte er seine mutige Druidin! Jetzt waren die Kameraden ihm gleich, er zog sie an sich und spürte
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