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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sich für ihr Verhalten und ihre Worte entschuldigen? Die Wahrscheinlichkeit liegt bei unter fünfzig Prozent. Oder würde sie glauben, der Sturz und der zerschmetterte Tisch sprächen sie von der Verpflichtung frei, ihre eigene Bosheit anzuerkennen? Diese Entwicklung ist viel wahrscheinlicher. Wenn sie die Nacht durchgeschlafen hatte, würde sie sich heute Morgen vielleicht nicht mehr wie das empörte Opfer fühlen, das sie gestern Abend gewesen war. Für einen Augenblick hatte er wirklich befürchtet, sie würde die Polizei rufen. Die feministische Interpretation derartiger Geschehnisse machte ihn zum Gewalttäter, zum männlichen Misshandler, der für immer aus dem Garten der Familienliebe ausgestoßen und ins Fegefeuer geworfen werden musste, dorthin, wo die Alkoholiker, die Schläger, die gewohnheitsmäßigen Ehebrecher saßen. Vielleicht würde Maureen nach ein paar Stunden Schlaf den Sturz und die Scherben als das betrachten, was sie tatsächlich waren: ein Unfall, ein Akt beiderseitiger Dummheit und Unbeholfenheit, wie der Plumps auf den Hosenboden in einer Slapsticknummer. So was passiert eben , könnte er ihr sagen, wenn zwei Menschen mittleren Alters ihre vom Schlafmangel angeschlagenen Körper in der Kleinkindbetreuung bis zur Erschöpfung treiben. Aufgaben wie diese sollte man Mittzwanzigern überlassen, Zehnkämpfern, Balletttänzerinnen und anderen gelenkigen Menschen.
    All das würde Scott zu ihr sagen, wenn die Zeit gekommen war, doch ein paar Augenblicke nach dem Aufwachen beschloss er, dass zunächst vollständiger Rückzug angesagt war, Flucht vor der Anspruchshaltung seiner Frau, vor ihrer neu entdeckten Faszination für die seltene Wüstenfauna Kaliforniens, die anscheinend frühere Begeisterungsphasen für italienische Landhausmöbel und abstrakte Kunst abgelöst hatte. Sollte sie doch selbst aus der Sache herausfinden; oder vielmehr mit Araceli, die sowieso den größten Teil der Arbeit machte, die das Haus bewohnbar hielt, die Kinder versorgte und Maureen die Zeit schenkte, sich diese kostspieligen Traumtänzereien auszudenken. Wie schon des Öfteren sah er Araceli als eine Art Gegenbild zu Maureen. An der Küste Maines, von wo seine Mutter stammte, und in den unbekannten Orten Mexikos, wo sein Vater gelebt hatte, da kannte man noch Respekt und Verantwortung. Er war immer noch der Sohn von Kämpfern und Überlebenskünstlern.
    Ich muss verdammt noch mal hier raus. Das hatte er sich auch in den letzten Tagen von MindWare gesagt, als er endlich wieder mit Gleichaltrigen hatte arbeiten wollen. Das Leben mit Maureen wirkte im Moment wie die letzte Runde seiner Start-up-Achterbahnfahrt, als der Big Man extravagante Summen für Fünfsternehotels und Restaurantbesuche in Las Vegas und tausend Dollar für Golfstunden ausgegeben hatte, im sinnlosen Versuch, Investoren zu verführen, Kapital aufzutreiben, den Vorstand hinzuhalten. Irgendwann musste man mal Stopp sagen: Es ist vorbei. Plötzlich klangen die alten Sprüche seines mexikanischen Vaters gar nicht mehr so albern und schrullig: Billig leben und dabei immer gut riechen. Häng deinen Hut nie so hoch, dass du nicht mehr drankommst. Er schnappte sich ein paar Sachen zum Anziehen und war schon aus der Tür und im Auto. Er glitt hinab zum Meer, und nur das rote Auge des Skorpions am Himmel sah ihm zu.
    Die häusliche Routine im Haus am Paseo Linda Bonita war so eingefahren, dass es ein paar Stunden dauerte, bis Araceli oder die Jungen bemerkten, dass Maureen und Scott weg waren. Einen halben Sommer lang waren die Jungen von den mahnenden Reden ihrer Mutter gegen Fernseh- und Computerkonsum konditioniert worden, und so begannen Brandon und Keenan ihren Tag mit angemessenerweise geistig förderlichen Aktivitäten. Der Morgen ohne Samantha war ruhig, durch die sommerlich geöffneten Fenster und die Fliegengitter drang das Tschie-diieep Tschie-diieep der Sumpfschwalben, die sich mit dem Ocotillo im Garten bekannt machten. Die üblichen vorsprachlichen Äußerungen und Schreie ihrer Schwester klangen ihnen nicht in den Ohren, allerdings hatten die beiden ihre Abwesenheit noch nicht bewusst registriert. Sie wussten nicht, dass Samantha mit ihrer Mutter auf halbem Weg in die Sonora-Wüste war, während sie bei Araceli ihren Grießbrei aufaßen. Keenan schlenderte ins Zimmer der tausend Wunder, um ein dreistöckiges Raumschiff aus Legosteinen zu bauen, während Brandon sich im Wohnzimmer auf die Couch legte und im vierten Band eines Krimi-Fantasy-Thrillers

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