In den Klauen des Löwen
imaginäres Reich, eine Utopie, die Ausgeburt eines fanatischen Gehirns. Auf drei Wegen zogen die Bwambas in die Berge, an den Rändern dieser drei Heersäulen schwirrten die ›leichten Truppen‹ wie Moskitos herum und zerstörten, brannten nieder, mordeten und lieferten den Regierungstruppen wilde Gefechte, bei denen es kein Erbarmen gab. Warum das alles, dachte Kirugu bitter. Es ist meine große Schuld. Ich habe Budumbas Worten vertraut. Warum kommt Malanga nicht …?
»Ich werde hierbleiben, bis Malanga bei uns ist!« sagte Kirugu mit fester Stimme. Er sah nicht die brennenden Augen Budumbas, die ihn musterten wie ein Götteropfer vor dem Todesstoß. »Das hier ist ein sicherer Platz. Malanga hat versprochen, mit dem nächsten Flugzeug aus London zu kommen. Er wird die Verwundeten versorgen und uns in die Berge führen. Und dir wird er das Handwerk legen, du Teufel!«
»Erst muß er hier sein.« Budumbas Stimme war gehässig. »Der Weg ist weit. Wir werden weiterziehen.«
»Nein!«
»Doch!« Budumba erhob sich. »Du wirst den Befehl geben. Oder soll ich dem Stamm sagen: Den großen Kirugu haben die Götter bestraft; seht her, sie haben ihm den Kopf abgeschlagen?« Er faßte an die breite Machete, die unter den Glasperlen in einem Ledergürtel stak. »Ich führe den Stamm auch allein in die Berge. Ich brauche kein Aushängeschild mehr. Alles ist in Bewegung, wie ein Wasserfall, der plötzlich aus den Felsen tritt und herunterstürzt.«
Kirugu senkte den Kopf. Er war machtlos, das wußte er. Er war nur wie eine Fahne, die man vorantrug und der man nachmarschierte. Die Fahne aber trug Budumba allein. »Und die Verletzten?« fragte er.
Budumba lächelte breit. »Ich werde einen Zauber um sie legen. Auf einer Insel sammle ich sie alle, schütte buntes Feuerwerkspulver um sie und brenne es ab. ›Die Götter werden euch heilen!‹ werde ich rufen. Dann ziehen wir ab, und ich sprenge als letzter den Damm zu der Insel. In ein paar Wochen werden nicht mal Knochen zu finden sein. Ist das ein guter Plan?«
Kirugu schwieg. Er stand auf, warf dabei den Klapptisch mit der Karte seines Königreiches um und verließ die große Königshütte. Allein ging er in das dichte Schilf- und Bambusdickicht des Sumpfes und faltete, als er unbeobachtet war, die Hände. Vor fünfzig Jahren – damals war er zehn – hatte er ein Jahr lang die Missionsschule in Sempaya besucht. Ein Mönch in weißer Kutte und einem langen Bart hatte ihn gelehrt, wie man Hände faltet und zu dem Gott betet, der sagt: Ich liebe alle Menschen, ob weiß, schwarz, gelb oder rot. Ich liebe meine Feinde und vergebe ihnen alle Sünden. Daran erinnerte sich Kirugu jetzt, und er fand auch die Worte wieder, die er vor fünfzig Jahren gelernt und seitdem nie wieder gesprochen hatte:
Vater unser, der du bist im Himmel …
Aber an das Ende des Gebetes, vor dem Amen, setzte er noch hinzu: »… und laß Malanga kommen, damit er Budumba tötet. Amen!«
Zufrieden, innerlich merkwürdig stark, kehrte er zu seiner Hütte zurück. Budumba saß am Transistorradio und hörte Kampala.
»Sie haben drei neue Bataillone gegen uns losgeschickt«, sagte er und lachte hohl. »Was soll's? Hier finden sie uns nie!«
Kirugu antwortete nicht. Er ging zu seinem Lager, legte sich auf ein Leopardenfell und tat so, als ob er einschlafen wolle.
Kettenklirrend verließ Budumba die Königshütte.
In der Nacht stellte er einen neuen Stoßtrupp zusammen. Es waren junge Krieger, die an seinen Zauber glaubten und die sich begeisterten an der Idee, ein eigenes Königreich zu haben. Immer und überall gibt es solche Jungen, in Europa wie in Afrika, in Amerika wie in Asien. Sie sterben für eine Idee und wissen doch nicht, warum.
Ihnen erzählte Budumba die Geschichte des Dr. Julius Malanga, der aus Europa herübergekommen sei, um den Bantus die Freiheit zu nehmen. »Ein halber Weißer ist er!« sagte Budumba und machte geheimnisvolle Zeichen in die Luft. »Die Götter verlangen, daß er stirbt. Ihr seid auserwählt, ihn zu töten. Ihr werdet die großen Helden des Stammes sein. Geht nach Osten und Norden, bewacht die Wege zu uns, und wenn ihr ihn seht … tötet ihn. Er hat keinen Zauber um sich, er ist verwundbar. Wenn ihr mir seinen Kopf bringt, wiege ich ihn auf mit Gold! Und aus den Jungfrauen könnt ihr euch die schönsten heraussuchen. Den Kaufpreis bezahle ich!«
Die jungen Bantus nickten. In der gleichen Nacht noch zogen vier Stoßtrupps los, Julius Malanga aufzuspüren und zu
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