In den Klauen des Löwen
sondern auch achtundzwanzig Weiße, darunter einen katholischen Priester, Pater Fritz – einen Deutschen – und die deutsche Journalistin Ingeborg Kraemer. Sie war für eine Nachrichtenagentur trotz der Sperren bis Butiti vorgedrungen, um wenigstens einen allgemeinen Lagebericht nach Deutschland durchgeben zu können. Als die Bwambas nachts das Dorf überfielen, was an sich schon ungewöhnlich war bei der Scheu der Farbigen vor der Nacht, wurde Ingeborg Kraemer gefangengenommen, als lade man sie zu einer Party ein. Ein stämmiger Bantu in einer Phantasieuniform, die aus verschiedenen Zivilteilen und einer Militärhose bestand, während er um die Stirn ein Band aus Affenfell trug, kam in ihr Zimmer und winkte ab, als Ingeborg eine Pistole hob.
»Wir freuen uns, Sie mitnehmen zu können«, sagte der Bantu höflich und gab die Tür frei. »Bitte, kommen Sie mit. Wenn Sie schießen, sieht das alles ganz anders aus.«
Ingeborg Kraemer legte die Pistole auf den Tisch, griff nach ihrer Reisetasche aus Zeltstoff, stopfte Unterwäsche, zwei Kleider, eine lange Hose und einen Bikini hinein, räumte vom Waschtisch alle Kosmetika zusammen und legte obendrauf ihre kleine Reiseschreibmaschine, Papier und ein Wörterbuch: ›Kisuaheli für Anfänger‹. Sie hatte plötzlich keine Angst mehr. Der sechste Sinn, den gute Journalisten haben müssen, meldete sich bei ihr. Wenn sie töten wollen, wäre ich jetzt schon hinüber, dachte sie. Aber sie wollen etwas anderes; das könnte eine Story werden.
Sie kämmte sich, zog ihre Buschkluft – Stiefel, lange Hose, Safarihemd, Windjacke und zerbeulter Hut – an und nickte dem geduldig wartenden, großen Bantu zu.
»Wir können, großer Häuptling!« sagte sie auf englisch. Auch der Bantu hatte englisch gesprochen. »Wohin geht die Reise?«
»Zu den Göttern, Madam.«
»Interessant. Da wollte ich schon immer hin.«
Ingeborg Kraemer nahm ihre schwere Reisetasche, warf noch einen Blick zurück ins Zimmer und folgte dann dem Bantu. Draußen traf sie auf Pater Fritz, der in seiner weißen Soutane inmitten gestikulierender und weinender anderer Gefangener wie ein Turm herausragte.
»Hatten Sie Schwierigkeiten?« fragte er Ingeborg Kraemer, als sie in den Kreis der anderen trat.
»Nein. Gar nicht. Er lud mich ein wie zu einer Wochenendfahrt. Es fehlt nur noch das ›Na Puppe, woll'n wir mal?!‹ Vielleicht kommt das noch?« Sie lachte und schob den zerbeulten Hut in den Nacken. Sie hatte ein offenes, frech-fröhliches Gesicht, gebräunt und mit etwa zweihundertneunundvierzig Sommersprossen auf der Nase; ihre Figur war schlank und mittelgroß und in dem Khakisack von Hemd, das sie trug, formenmäßig schlecht zu bestimmen. Pater Fritz nickte.
»Sie benehmen sich merkwürdig«, sagte er. »Im Kongo waren sie weniger höflich. Aber das kann noch kommen. Wer weiß, trotz langer Forschungen, was in diesen Seelen vorgeht?«
In der Nacht noch wurden sie weggefahren, mit erbeuteten Lastwagen, die fahrkundige Europäer fahren mußten. Bewaffnete Bantus saßen neben ihnen und gaben ihnen die Richtung an.
Als der Morgen graute, waren sie schon weit von Butiti entfernt in der Savanne; als Militärkolonnen die Verfolgung aufnahmen, stießen sie in Leere. Man fand zwar die Lastwagen, aber die Bantus und die Gefangenen blieben unsichtbar. Auch Hubschrauber erkannten sie nicht in der zerklüfteten Hochebene, in die sie geflüchtet waren.
Zwei Tage dauerte der Zug der Gefangenen durch die mannshohe Grassavanne. Sie wurden bestens verpflegt und behandelt. Nur als ein italienischer Ingenieur fliehen wollte, tötete man ihn lautlos mit vergifteten Pfeilen. Das war eine Warnung, die jeder verstand. Pater Fritz begrub den Italiener unter einer Schirmakazie und zelebrierte einen kurzen Sterbegottesdienst. Dabei zeigte es sich, daß die Hälfte der Bantus getauft waren: sie bekreuzigten sich und knieten nieder.
»Da sieht man wieder das Geheimnis der afrikanischen Seele«, sagte Pater Fritz später zu Ingeborg Kraemer, die auf ihrer Reiseschreibmaschine diese Begebenheit festhielt. »Sie überfallen und morden, und sie bekreuzigen sich und knien nieder. Sie haben von dem Gott der Liebe gehört, aber sie leben weiter wie ihre Ahnen. Bei den Aufständen im Kongo hat ein junger, farbiger Meßdiener sogar seinen Pfarrer in der Kirche erstochen. Man kann das mit unserer Logik nicht begreifen.«
Am dritten Tag kamen ihnen Wagenkolonnen entgegen. Negerfuhrwerke, gezogen von Rindern. Die Gefangenen wurden
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