In den Klauen des Löwen
»Was ist so wichtig?«
»Ich habe Nachricht für dich, Bwana.« Der kleine Bantu sah auf McCallens eisgrauen Schnurrbart. »Ich soll sagen, daß der große Doktor auf dem Weg zu den Bwambas ist.«
»Das weiß ich«, knurrte McCallen. »Wer schickt dich?«
»Ich weiß nicht.« Der kleine Bantu grinste wieder. »Ich soll sagen, der große mganga, den ihr sucht, heißt Dr. Julius Malanga und kommt aus London.«
McCallen spürte ein Kribbeln unter seiner Kopfhaut. »Junge …«, sagte er gedehnt. »Junge, wenn das wahr ist, lasse ich dir deinen schwarzen Hintern vergolden. Du kommst mit nach Kampala! Wir prüfen das nach. Sofort!« Er sah zu dem Uganda-Oberst auf, der neben ihnen stand und es unter seiner Würde fand, sich niederzuhocken, so wie es sein Vater noch im Busch beim Palaver getan hatte. »Wir fliegen sofort zurück. Funken Sie an das Innenministerium, sie sollen uns alle Akten der nach Europa gereisten Studenten bereitlegen und darin nach einem Julius Malanga suchen …«
Zehn Minuten später erlebte der kleine Bantu den ersten Flug seines Lebens. Er hockte in der gläsernen Kanzel der Riesenlibelle, sah die Savanne unter sich, die flüchtenden Herden der Impalas und Gnus, Wasserböcke und Kudus, eine Herde ziehender Elefanten und ein Löwenrudel, faul in der Sonne liegend und schlafend. Da lachte er und klatschte in die Hände wie ein Kind und schrie immer und immer wieder gegen das Fenster: »Simba! Simba! Simba!«
Er war aus der Eiszeit in die Gegenwart gerissen worden und begriff es noch gar nicht voll. Er flog wie ein Vogel, und das war so schön, daß er alle Angst vergaß.
In Kampala empfing im Hauptquartier ein lachender General den nervösen McCallen. »Wir haben ihn!« rief der General und schwenkte ein Aktenstück. »Julius Malanga vom Stamme der Bwambas! Seit zehn Jahren in Europa. Studierte in Köln, London, Paris und Rochester. Vater war der letzte König der Bwambas. Sein Onkel Kirugu regiert jetzt den Stamm. Malanga ist vor drei Wochen in Entebbe gelandet, zurückgekehrt aus Europa.«
»Das ist er!« McCallen wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Und dazu braucht man so lange Zeit, um das festzustellen. Wo alles so logisch ist, wo man sogar ein Dossier von ihm hat. Ist ein Bild dabei?«
»Mehrere.« Der General reichte die Mappe. McCallen sah in ein schönes, intelligentes, kaum noch negroides, dunkles Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen klappte er die Akte wieder zu. »Wirklich, dieser Mann ist gefährlich«, sagte er leise. »Das ist ein Gegner, den wir auf gar keinen Fall verachten sollten. Hören wir uns nun an, was unser kleiner Steppenhüpfer noch zu sagen hat …«
Aber der kleine glückliche Bantu, der zum erstenmal wie ein Vogel geflogen war, hatte nichts mehr zu sagen.
»Das war alles, Bwana«, sagte er immer wieder, noch nach fünf Stunden geduldiger Fragerei. »Das war wirklich alles, Bwana.«
Achselzuckend verließ McCallen den Raum und übergab den Kleinen den Militärs. Diese waren weniger höflich zu ihm; sie schlugen ihm ins Gesicht und fragten: »Wo stehen eure Männer? Wo ist der Sitz des Königs? Wie seid ihr bewaffnet? Woher bekommt ihr die Waffen? Wer unterstützt euch? Was sind die Pläne Budumbas? Rede, du Aasgeburt!«
Aber der kleine Bantu schwieg. Er wußte ja das alles nicht. Er war Träger in der Kolonne III, weiter nichts. Und die Götter hatten ihn durch Budumba dazu auserwählt, zu fliegen wie ein Vogel. Oh, war das schön!
Sie verprügelten ihn wieder, streuten Salz in die aufgeplatzten Wunden, brannten ihm glühende Eisen ins Fleisch, schnitten ihm die Ohren ab und kastrierten ihn.
Der Kleine schwieg. Wohl schrie er vor den gräßlichen Schmerzen, aber wer nichts weiß, kann ja auch nichts verraten.
Als der Schmerz und die Qual zu groß wurden, warf er sich aus dem Fenster auf die Straße. Dort lebte er aber noch, kroch auf allen vieren herum wie eine vom Sturz verletzte Katze, bis ihn der Posten vor der Tür erschoß.
Man warf ihn in die gleiche Abfallgrube, in die der Müll von Kampala abgeladen wurde. Eine Lastwagenladung fauliger Apfelsinen wurde seine Grabplatte. Vier Wochen später planierte ihn ein Bulldozer unter.
Beim Überfall auf die Station Butiti – ein kühnes Unternehmen, denn Butiti lag an der Hauptstraße Kampala - Fort Portal und war einen Tag vorher noch von zwei Zügen Panzerjäger besetzt gewesen – erbeutete der Stoßtrupp der Bwambas nicht nur Munition, Gewehre, Maschinenpistolen und Kisten voll Konserven,
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