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In den Klauen des Tigers

In den Klauen des Tigers

Titel: In den Klauen des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Sauen, die sich in der Nähe von Wolfi Keups
Wochenendhaus befand, zog sich ängstlich ins modrige Dickicht zurück.

7. Von Napur belagert
     
    Er hatte abgeschlossen mit dem Leben.
Er gab sich keine Chance. Aber er wollte nicht tatenlos abwarten, daß der Tiger
ihn niederstreckte. Deshalb sprintete er so schnell wie noch nie in seinem
Leben — auf die Eiche zu, den starren Blick auf den untersten Ast gerichtet.
    Er hörte, wie der Tiger auf ihn
zuschnellte, hatte jetzt die Eiche erreicht und sprang. Es war zu früh. Er
merkte sofort, daß seine ausgestreckten Hände den Ast nicht berühren würden —
und die Todesangst schien sich in seinen Muskeln als eine Art Explosion zu
entladen. Das war wie zusätzlicher Schwung. Der Sprung verlängerte sich. Sein
Körper erhielt Auftrieb, gewann Höhe — die Hände schlugen wie Haken auf den
armdicken Ast.
    Wolfi Keup hing, klammerte sich fest,
schaukelte. Nur wenig mehr als ein Meter trennte seine Füße vom Boden.
    Wie Streichhölzer brachen die Zweige
eines Strauches unter dem Gewicht des Tigers. Er hetzte heran.
    Klimmzug. Wolfi schwang ein Bein über
den Ast. Seine Arme zitterten. Für einen Moment schien er das Gleichgewicht zu
verlieren. Geistesgegenwärtig warf er sich dem Stamm zu. Mit Gesicht und Brust
prallte er dagegen. Er umarmte die Sumpf eiche, fühlte die rauhe Rinde, stand
jetzt auf dem Ast — war aber noch immer in der Reichweite des Tigers.
    Rasch zog er sich auf den nächsten Ast
und auf den nächsten...
    Der Baum erzitterte. Mit einem
gewaltigen Sprung schnellte sich Napur am Stamm hinauf.
    Nur um Zentimeter verfehlte seine linke
Vordertatze die Füße des Mannes. Die andere Tatze landete auf dem unteren Ast
und krallte sich fest.
    Entsetzt sah Wolfi den Kopf des Tigers
dicht unter sich, sah den aufgerissenen Rachen mit dolchartigen Zähnen und das
Glitzern in den Augen des Dschungeljägers. Heißer, nach Aas riechender Atem
stieß ihm entgegen.

    Tiger können klettern! fiel ihm ein. Er
zitterte. Angstschweiß tropfte von seiner Nasenspitze. Das Herz hämmerte gegen
die Rippen, als wollte es hinaus.
    Sekundenlang starrten Mensch und Tiger
sich an.
    Napurs Tatze glitt ab. Er fiel zurück
auf den Boden.
    Wolfi kletterte weiter, war aber am
Ende seiner Kraft. Er wußte nicht, daß Tiger zwar ausgezeichnete Schwimmer
sind, ihnen aber — im Gegensatz zu den kleinen Katzen — Klettern nicht liegt.
    In beträchtlicher Höhe schmiegte er
sich an den Stamm. Er flog buchstäblich am ganzen Körper.
    Zähnefletschend starrte Napur zu ihm
herauf, geiferte vor Wut darüber, daß ihm die Beute entkommen war.
    Wolfis Zähne klapperten.
    Seine Kollegen fielen ihm ein.
    Er konnte das Dach seiner Hütte sehen,
aber nicht, was sich auf der Lichtung abspielte.
    „Geht ins Haus!“ schrie er. „Hier ist
ein echter Tiger. Eine Bestie! Werner, Heinz, Silke, Jutta, Edeltraut — rettet
euch in die Hütte. Verrammelt Fenster und Tür! Um Himmels willen, beeilt euch!“
    Ein langer Augenblick verging. Dann
ertönte Pechowskis belustigte Stimme.
    „Machst du Witze? Steckst wohl mit den
Burschen unter einer Decke, wie? Oder frißt dir der Tiger aus der Hand?“
    „Ich bin auf einem Baum. Ich habe mich
auf die Eiche gerettet. Es ist kein Witz! Geht ins...“
    Napur unterstrich die Warnung auf seine
Weise. Der Körper streckte sich. Der Kopf wurde erhoben. Aus dem geöffneten
Rachen drang das furchtbarste Gebrüll, das dieser Wald je gehört hatte.
    Danach herrschte Stille ringsum. Selbst
die Bienen schienen nicht mehr zu summen.
    Napur wandte sich ab, schien zu
begreifen, daß der Mann dort oben als Beute nicht mehr in Frage kam.
    Geschmeidig pirschte er auf die Hütte
zu.
    „Er kommt.“ Wolfi kreischte mit sich
überschlagender Stimme. „Er kommt zur Hütte. Rettet euch!“
    Er hörte erschreckte Stimmen, Rufe. Einen
Moment später fiel vernehmlich die Tür zu.
    „Das Hinterfenster ist offen“, schrie
Wolfi.
    Den Tiger sah er nicht mehr. Dicht
belaubte Bäume und Büsche nahmen die Sicht.
    Er hörte Rumoren. Offenbar wurden auch
die Fenster geschlossen, die Läden vorgelegt. Seine Kollegen igelten sich ein.
    Er schloß die Augen. Ich lebe, dachte
er. Er hat mich nicht erwischt. Mein Gott! Aber woher kommt das Vieh? Es muß
irgendwo entlaufen sein. Aus einem Zoo? Einem Zirkus? Egal! Ich sitze hier
sicher. Die in der Hütte sind’s auch. Aber wie verhält sich der Tiger? Wird er
uns belagern? Selbst wenn er abhaut, sich nicht zeigt, kann er immer noch in
der Nähe

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