Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Ruinen von Paris

In den Ruinen von Paris

Titel: In den Ruinen von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
an dem er es brauchen würde. Man lehrte ihn, schwierige Entscheidungen und komplizierte Denkvorgänge auf jener Ebene seines Geistes ablaufen zu lassen, die normalerweise nur unbewußtem Denken vorbehalten war. Außerdem lernte er seinen Körper perfekt zu beherrschen und seine Gefühle perfekt zu beherrschen. Bald wußte er auch, daß die harten, schwarzen Geschöpfe, die ihn in den ersten Tagen und Wochen so erschreckt hatten, nicht seine Feinde waren. Sie waren auch nicht seine Freunde, denn manchmal fügten sie ihm Schmerz zu, aber wenn sie nicht kamen, um ihn in einen jener schrecklichen Räume zu bringen, in denen es scharfe Messer und dünne, lange Nadeln gab, die in sein Fleisch bissen, dann waren sie seine gehorsamen Diener, die fast jeden seiner Wünsche erfüllten. Im Alter von zweieinhalb Jahren hatte er gelernt, zusammenhängende Sätze zu sprechen, und für eine Weile hatte es ihm große Freude bereitet, dem Tyrannen, der in jedem Kind verborgen war, freien Lauf zu lassen und die schwarzen, großen Wesen alles tun zu lassen, was ihm gerade einfiel. Einige hatte er gegeneinander kämpfen lassen, bis eines tot und blutend am Boden lag, und für eine Weile hatte er große Freude an diesem Spiel gefunden. Später hatten sie ihm dann Waffen gegeben und ihn gegen die schwarzen Kolosse antreten lassen. Und obwohl sie sich wehrten, hatte er sie erschlagen. Dann hatten sie ihn eines Tages wieder in jenen schrecklichen Schmerzraum gebracht, und als er aus der Bewußtlosigkeit, die jedem dieser Besuche unweigerlich folgte, erwachte, da hatte er schlagartig begriffen, daß diese Geschöpfe weder seine Spielzeuge noch seine Sklaven, sondern seine Diener waren. Wesen, die kaum mehr wert waren als Maschinen, und doch war es schlecht, sie aus einer puren Laune heraus zu zerstören, und er hatte damit aufgehört. Als er fünf Jahre alt war, spürte er zum ersten Mal die Berührung des Todes. Niemand hatte ihm je gesagt, wie lange er hier war oder wie lange er hier noch bleiben würde. Niemand hatte ihm je gesagt, was ein Jahr war oder ein Monat oder ein Tag. Er hatte einen Freund. Sein Name war Mark. Eigentlich waren sie Einzelgänger, Einzelkämpfer, die keinerlei Gefühle kennen durften. Aber Mark und er waren oft zusammen, wenn es ihre Trainingsstunden erlaubten, und er fühlte sich auf eine schwer verständliche Weise zu dem dunkelhaarigen Jungen hingezogen, der etwas größer und kräftiger war als er. In seinem Inneren spürte Kyle, daß dieses Gefühl verwerflich war, gleichzeitig bewahrte er es aber in seinem Herzen auf wie einen Schatz, sein großes Geheimnis, von dem niemand etwas wußte, nicht einmal die Diener. So oft es ihre Zeit zuließ, trafen sich die beiden; ein Verhalten, das von den Dienern zwar nicht gern gesehen, aber akzeptiert wurde. Da sie jung waren, durften sie nur in der ersten der drei riesigen Silberkuppeln üben; einem gewaltigen, künstlich geschaffenen Gelände voller wechselnder Temperaturen, wechselnder Lichtverhältnisse und wechselnder Schwerkraft, in dem mannigfaltige Gefahren lauerten. Obwohl die Dienerkreaturen, die für seine Ausbildung verantwortlich waren, es niemals unterlassen hatten, ihn auf die Gefahren hinzuweisen, die in dieser künstlichen Welt lauerten, hatte Kyle doch die Zeit, die er bisher hier verbracht hatte, als eine Art großes Abenteuer betrachtet, ein gefährliches, aber aufregendes Spiel, das ihm immer wieder neue Herausforderungen bescherte. Kyle und Mark unterschätzten es keinen Augenblick. Der Tod gehörte zu ihrem Tagesablauf wie die morgendlichen Meditationsübungen und die Stunden im Schlaftrainer. Sie hatten mehr als einen ihrer Gefährten in der Kuppel sterben sehen. Auch Kyle war mehrmals verletzt worden, aber nie so schwer, daß sein bereits erstaunlich regenerationsfähiger Körper nicht damit fertig geworden wäre. Die Dienerkreaturen betraten diese Kuppeln fast nie; und wenn dann nur, um einen Toten fortzuschaffen oder einzugreifen, wenn sich einer der Schüler regelwidrig verhielt. Der Weg, den sie jedesmal zurücklegen mußten, führte zwischen niedrigen Sanddünen entlang, die beständig ihre Form wechselten und nicht immer nur aus Sand bestanden. Einmal hatte Marks hypersensibilisiertes Gehör ihn gewarnt, sich einem harmlos aussehenden Hügel zu nähern. Aus sicherer Entfernung hatten sie dann in die Düne einen Stein geworfen, worauf der Sand explodierte und eine Armee kleiner, aber tödlicher Insektenwesen zum Vorschein

Weitere Kostenlose Bücher