In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
fuhr. Tristan verlor dabei fünf Männer und Frauen. Zwei an den Tod. Drei konnten sich in die Aschewerdung retten. Er schleifte den verletzten Smutný in den Kanal und verhörte ihn.« Adam Kadmon schwieg kurz, in Erinnerung schwelgend. »Wir hatten einen hohen Preis bezahlt... Für nichts.«
Dann blickte er zu mir und nickte leicht.
»Tristan hatte mir von einem Jungen berichtet, der ihm unten im Kanal begegnet war. Und jetzt... Jetzt sind wir hier. Ich hoffe du hast deinen Glauben an Zufälle auf dem Dach des Krankenhauses gelassen.«
Ich sah hoch und bemerkte, dass die gesamte Imago verschwunden war — der kleine Jan-Marek, Tristan, der tote Libor Smutný. Der Gang schien nur noch zwanzig Schritt weiterzuführen. Von dort drang blasses Licht hinein.
Lichtmann nickte Akhanta zu. Ich folgte den beiden. Als wir das Ende des Gangs erreichten, stockte mein nicht vorhandener Atem erneut. Der Kanal mündete im Nichts! Wir standen vor einem Abgrund, inmitten einer Felswand, und der Weg nach unten konnte leicht einen Kilometer lang sein. Die Talsohle verlor sich unsichtbar in der Dunkelheit. Die gegenüberliegende und kaum erkennbare Wand befand sich mindestens drei oder vierhundert Meter entfernt. Ich griff instinktiv nach dem Fels zu meiner Rechten, um besseren Halt zu haben, und schloss die Augen. Es verursachte mir tiefstes Unbehagen, in diesen Abyssos hinein zu starren.
»Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«, sprach Adam Kadmon.
»Habe ich schon erzählt, dass ich ziemliche Höhenangst habe?« flüsterte ich.
»Friedrich Nietzsche«, sinnierte er weiter, ohne auf mich einzugehen. »Würde man in der menschlichen Geschichte fünf Geister wählen, die es verdient hätten, ewig zu leben, wäre Nietzsche stets dabei.«
»Aber wer will schon ewig leben, nicht wahr?« rief ich nervös, während meine Finger einen Felsvorsprung umklammerten.
»Was ist also deine Geschichte?«
Adam Kadmon stand lässig neben mir, am Rande des gigantischen Abgrunds und beobachtete die Felsen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite in der Dunkelheit auflösten. Er schien mein Unbehagen zu genießen. Akhanta hatte sich ebenfalls am Felsrand postierte und lehnte sich gleichgültig gegen den kalten Stein.
»Meine Geschichte?« fragte ich, den Wind der Veränderung nicht spürend.
»Ein Kind klettert neugierig in einen Kanal«, erzählte Adam Kadmon, als handle sich um einen Urlaubsanekdote. »Und wohnt dort zufällig einer Exekution bei, die Tristan an einem leitenden Mitglied der Kerygma-Gruppe ausführt. Ein Zufall. In Ordnung.«
Er sah mich nun durchdringend an.
»Dasselbe Kind schleicht sich — inzwischen erwachsen — zehn Jahre später, in einem anderen Land, in den Keller des eigenen Mietshauses, um dort eines der sechs Hauptquartiere der Kerygma-Gruppe zu entdecken. Ein Zufall? Nicht doch.«
»Ich wusste das alles nicht«, erwiderte ich. »In Prag wusste ich nicht was ich sah und in München auch nicht.«
»Und als der junge Mann dann die Flucht antritt, bricht das komplette Chaos aus. Das Kerygma schickt seine besten und ganz sicher teuersten Schergen los, das Oktagon ist sofort zur Stelle und wir...« Er lächelte kalt. »Wir wollen natürlich auch ein Stück vom Kuchen. Nur wie der Kuchen schmeckt, kann ich noch immer nicht sagen.«
»Ich verstehe es auch nicht...«, sagte ich. »Ich bin da irgendwie hineingeraten...«
»Ich habe den Stunt auf dem Krankenhausdach nicht deshalb gemacht, weil wir alle deine Fans sind, Jan-Marek. Zeit für eine Runde Erleuchtung. Die Aschewerdung ist ein aufwendiger Akt, der oft Dinge noch komplizierter macht. Niemand geht leichtfertig in die Spiegel. Doch ich konnte nicht riskieren, dass das Oktagon dich in die Finger bekommt. Teiresias, der Seher, hat mich davor gewarnt.«
Ich kam mir vor, als läge ich irgendwo auf einer schmutzigen Matratze inmitten einer abgestürzten Party, mit einem Gehirn, das hoffnungslos versucht, den Mix aus MDMA, THC, LSD, Morphin und Alkohol zu entwirren. Doch ich wusste zugleich, dass ich nicht trippte. Dieser Augenblick war nicht real, er war die Wirklichkeit. Und das machte mir Angst.
Plötzlich spürte ich Adams Hand an meinem Nacken. Sein Griff wurde fest, und bevor ich mich versah, schwebte mein Oberkörper über dem Abgrund, während meine Füße an dem Felssims nach Halt suchten und sich verzweifelt gegen die
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