In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
war´s nur Kauderwelsch.«
»John Milton. Das verlorene Paradies «, lautet meine Antwort. »Er sagt mir auf diese Weise, dass er nicht mehr wiederkommt.«
Ich mustere gedankenverloren den Torso auf dem Tisch, und jene Stellen, an den sich die Füße und die Hände der Frau befinden sollten.
Inzwischen dringen weitere Polizisten in den Raum. Ich höre, wie sich jemand hinter mir übergibt.
»Ruhe!« ruft der Narbige. »Wer glaubt hier kotzen zu müssen, geht wieder raus und hilft oben bei den Trümmern.«
Ich atme tief durch den Mund. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Körperflüssigkeiten droht mich zu betäuben. Stumm deute ich einem der Polizisten, mir die Laterne zu geben. Ich stelle sie auf den Tisch, an jene Stelle, an der normalerweise ihre Knie wären, und ziehe ein Vergrößerungsglas aus meiner Tasche.
Der Narbige zeigt die ersten Anzeichen von Ungeduld.
»Das kann sicher warten bis wir sie in die Leichenhalle gebracht...«
Ich blicke kurz von meinem Vergrößerungsglas hoch. »Er hatte es eilig...«
»Das haben Sie aus dem Starren in ihre...?«
Ich zucke zusammen, denn das vergrößerte Gewebe unter meiner Lupe bewegt sich plötzlich. Ich blicke wieder hin, doch nun brauche ich kein Vergrößerungsglas mehr, um es zu sehen.
»Sie lebt...«, höre ich jemanden hinter mir mit erstickter Stimme hauchen.
Ihre Augen öffnen sich. Als setzten sich plötzlich zwei dunkle Motten auf ihre Lider.
Im Hintergrund höre ich Geschrei und Getrampel. Die Polizisten versuchen zurück in den Tunnel zu flüchten. Doch ich selbst bin erstarrt wie eine Salzsäule. Ich würde gerne zurücktreten, mit ihnen laufen, doch ich kann nicht. Ich bin wie angewachsen. Wie hypnotisiert.
Ihre herben, rissigen Lippen formen Worte. Ich neige meinen Körper nach vorn, um die leise Stimme zu hören.
»Ich habe nicht mehr als meine Liebe«, flüstert sie mir ins Ohr und klingt wie meine Mutter. In meinem Kopf explodieren Sterne.
Auch meine Augen öffnen sich. Ich reiße mich hoch und blicke um mich. Es ist dunkel. Langsam beginne ich die Umgebung zu entschlüsseln. Das Schlafzimmer.
Ich blicke zum Vorhang, an dessen Rändern sich bereits schwaches Licht zeigt. Jemand steht plötzlich über mir. Ich schreie erstickt auf.
»Schreib«, sagt Evelyn bestimmend, doch mit einer Stimme, die Orientierung gibt. Eine Nachttischlampe wird angeknipst und ich sehe Evelyn neben mir sitzen, mit einem Schreibblock in der Hand und einem gespitzten Bleistift. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt mit der neonfarbenen Aufschrift: I´m so glamorous I cum glitter.
»Schreib. Denk nicht. Schreib.«
Ich nehme den Block aus ihrer Hand und kratze eilig über das Papier. Der Schlaf, dessen Tentakel noch immer meinen Schädel und meine Augen umschließen, löst sich langsam von mir. Doch mit ihm auch die Erinnerung. Ich spüre, wie der Traum bereits verblasst und zerfällt. Als ich fertig bin, falle ich rückwärts auf mein Kissen und starre schwer atmend an die Decke. Erst jetzt merke ich, dass ich schweißgebadet bin und mich erschöpft fühle, als hätte ich anstelle zu schlafen, die letzten Stunden in einem Bergwerk gearbeitet. Ich blicke nach links und beobachte Evelyn. Sie schläft längst wieder.
2.01 Aurea
Meine Nacht ist vorüber. Isis sei Dank. Nach einer Weile stehe ich auf und schiebe den Vorhang eine Handbreit beiseite. Draußen hatte es geregnet. Die Welt ist wieder genauso grau, wie ich sie zu sehen gewohnt bin. Doch in meinem Kopf lebt noch die Farbe des verkrusteten Blutes und der Geruch von Desinfektionsmittel. Die Bilder sind zerfallen, aber der sinnliche Eindruck bleibt. Mindestens einen Tag lang. Ich taumle in die Küche, um das Wasser für einen Kaffee aufzusetzen.
Es kommt mir vor, als hätte ich schon immer Albträume gehabt, doch ich weiß, dass das eine Selbstlüge ist, denn es gab keinen derartigen Albtraum in meinem Schlaf bevor ich als Kind den Tod in der Prager Kanalisation kennenlernte. Aber da andere Menschen auch schlecht träumen, dachte ich nie, dass das etwas Besonderes sei. Nur sehr langsam begann ich zu begreifen, dass dieser Grusel anders ist, als die Albträume der meisten Menschen, ja sogar anders, als meine eigenen restlichen Träume.
Natürlich habe ich auch gewöhnliche Träume. Manche sind gut, manche sind vermutlich Albträume — doch das nehme ich kaum wahr, denn sie muten an wie karibische Ferienhäuser, verglichen mit jenen speziellen Träumen, die mich ein oder zweimal im Monat aufsuchen.
Als
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