In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
ich einmal mit zwölf oder dreizehn Jahren aus diesen Träumen schreiend und schweißnass im Bett hochfuhr, versuchte mich meine Mutter zu beruhigen. Sie streichelte über mein kreidebleiches Gesicht und erzählte mir, dass es nur meine Einbildung sei und es nichts gebe, wovor ich Angst haben müsste. Ich glaubte ihr kein Wort. Doch ich fürchtete mich davor, mein Verhalten könnte mich sonderbar erscheinen lassen. Ich hatte eine seltsame, tiefe Angst vor Ärzten. So nickte ich nur, wischte mir die Tränen weg und tat so, als wäre ich von ihren Worten überzeugt. Ich fühlte mich in der Nähe meiner Eltern stets allein und hilflos. Ein seltsames Kind.
Mein Vater stand nur daneben und sah mit versteinerter Miene zu, wie ich aufstehen musste, damit meine Mutter das nasse Bettlaken wechseln konnte. So sahen meine feuchten Träume aus. Und mein Vater glaubte, dass das Leben ungerecht sei und deshalb erfuhr er die Ungerechtigkeit jeden Tag. Damals ahnte er noch nicht, was auf ihn durch meinen Bruder Roman zukam. Die Verschwörung der verweichlichten Söhne.
Raven von den Teen Titans und John Constantine aus Hellblazer waren bei diesen wiederkehrenden Traumkrisen viel wirksamere Helfer, aber am Ende war es die bedingungslose Zeit, die mich lehrte, mit mir und meinen Gedanken auszukommen. Jahre vergingen, Psychiater kamen und gingen, zuerst die sozialistischen und dann die kapitalistischen. Ich gewöhnte mich an die seltsamen Bilder in meinem Kopf. Da ich aber mit niemandem über sie sprach, hielt ich ihre Intensität und ihr Detailreichtum für normal. Ich nahm an, dass jeder Mensch plastische Träume voller Blut und Gewalt habe. Man redet nur nicht darüber. Und so wie ich mit fünf Jahren begriffen habe, dass es ein Tabu ist, in der Öffentlichkeit an meinen Genitalien herumzuspielen, begriff ich mit vierzehn, dass die Menschen nicht über ihre Albträume sprechen. Ich übersah vollkommen, dass diese Annahme, diese Überzeugung ein Produkt meiner Einbildung war. Ich glaubte an ein Tabu, wo kein wirkliches Tabu bestand. Aber auch wenn ich darüber gesprochen hätte — was hätte man mir anderes angeboten als noch mehr Psychotherapeuten und rezeptpflichtige Psychopharmaka?
Doch oft stellte ich mir die Frage, ob ich nicht wirklich einen Dachschaden hatte und auf die Hilfe von Fachleuten angewiesen war. Ich ahnte, dass viele seelische Erkrankungen nicht so einfach entdeckt werden können, da der betroffene Mensch dazu tendiert, sie nicht zu sehen und auf die bloße Idee, etwas sei mit ihm in Unordnung, mit Ablehnung und Gereiztheit reagiert. Kein Siebzehnjähriger möchte hören, dass er psychisch krank sei. Es fällt ihm leichter bei einer solchen Bemerkung eine Schlägerei anzuzetteln.
Die Hyper-Albträume waren zugleich aber auch mein Pubertätsritual, meine Entnabelung von der Welt der Heuchler. Ich mochte es damals nicht so verstanden haben, doch es war dieser Grad an Andersartigkeit, der mich wahrnehmungsfähig und empfänglich für die Welt von Paul Lichtmann machte.
Die nächtlichen Erfahrungen verblassten, wie sonstige Träume und Albträume. Ich fand bald heraus, dass das Cannabis hierbei half. Je mehr ich kiffte, desto weniger konnte ich mich am nächsten Tag an die Albträume erinnern. Die Welt mag hier etwas von einer Einstiegsdroge plappern, doch ich erkenne etwas Heiliges, wenn ich es sehe.
Mit dieser Art von Bettnässen hörte ich mit fünfzehn Jahren auf. Es war höchste Zeit. Sicherlich fiel meinem Vater ein Stein vom Herzen. Doch er sprach dieses Thema niemals an. Nachdem diese äußerlichen, peinlichen Symptome meiner Hyper-Albträume nicht mehr auftraten, hielt jeder das Problem für erledigt.
Vor mich hinstarrend stand ich da — der Löffel steckte noch immer in der Kaffeedose. Menschen sehen wohl nie sehr intelligent aus, wenn sie inmitten ihrer Gedanken »einfrieren« und abwesend vor sich hinschauen. In den Tiefen der Vergangenheit, als der Mensch noch um das Feuer kämpfte, mochte dieser Augenblick der Versunkenheit tödlich gewesen sein und ein Ende in den Fängen eines Raubtiers bedeuten. Oder den tödlichen Schlag eines Steinzeitkollegen. Heute lässt man es bei der schroffen Stimme eines Vorgesetzten bewenden, der den Tagträumer von seiner Reise zu fernen Gestaden wachrüttelt. Oder...
Ein mehrfaches Fingerschnipsen vor meinem Gesicht holte mich zurück. Ich sah auf die Kaffeedose in meinen Händen. Ich blickte in Evelyns fragendes Gesicht und lächelte.
»Ich... Ich war in
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