In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
Gedanken.«
Evelyn ist eine tolle Frau. Statt mich zu einem Psychiater zu schleppen, drückt sie mir einen Block in die Hand und sagt: Schreib!
Sie wirkte frisch und vital, als wäre sie bereits seit Stunden wach. Das Vorrecht sportlicher Leute.
Das Wasser blubberte bereits vor sich hin, also nahm ich noch eine zweite Tasse aus dem Regal und beeilte mich damit, Kaffee und Zucker hineinzulöffeln.
Evelyn trug ihren apricotfarbenen Kimono. Sie hatte ihn nicht zugebunden und ich blickte auf die winzige rosarote Brustwarze, die sich unter der Falte des Kimonos rausschälte. Sie bemerkte meinen Blick und folgte ihm. Statt beschämt den Morgenmantel straffer zu ziehen, lächelte sie nur und zog ihn noch weiter auseinander. Sie hatte durchaus einen notorischen Hang zum Exhibitionismus. Eine Art Kontrastprogramm zu einer seltsamen Schüchternheit, die genauso ein Teil von ihr war. In ihr fand eine ewige Schlacht zwischen dem sanguinischen und dem melancholischen Temperament statt. Sie lehnte sich gegen die Küchenzeile und lächelte schelmisch. Ihre Brüste waren klein und hatten ein adoleszentes Flair. Ihre Scham war in der Form eines Kreuzes rasiert. Ihre Haarfarbe änderte sich ständig: von pechschwarz zu schwarzblau oder schwarzrot, dann wieder schneeweiß oder cremeblond. Ihr blasser, beinahe schneeweißer Körper war übersät mit Tätowierungen. Irische Bekenntnisse auf der Schulter. Seltsamer Flugkörper am Steißbein. Flammen des Fegefeuers die von ihren Fußknöcheln aufstiegen und bereits einen Großteil des Unterschenkels verzehrten.
»Hättest du es lieber, wenn ich große Brüste hätte?« fragte sie mit einem nymphomanisch anmutenden Gesichtsausdruck. »Große, wulstige Titten, in die man sein Gesicht eintauchen kann und deren Brustwarzenhöfe so groß sind, wie Bierdeckel?«
Ich nahm das heiße Wasser und goss es in die Tassen. Mein Mundwinkel zuckte. Sie mochte winzige Brüste haben, doch sie wusste am besten, wie man meine Albträume verscheucht und mich in kürzester Zeit auf andere Gedanken bringt. Meine Mutter konnte das auf jeden Fall nicht so gut.
»Nein. Ich mag deine Brüste, so wie sie sind. Sie geben mir das Gefühl, ein Päderast zu sein, und dir geben sie den Touch eines japanischen Bondage-Stars.«
»Schwein«, antwortete sie und beugte sich zum Kühlschrank, um die Milch heraus zu holen. »Man sollte dich kastrieren.«
Wir nahmen unsere Tassen mit ins Wohnzimmer. Dort saßen wir auf dem Sofa und schlürften den Milchkaffee. Ich verschlafen, sie munter.
»Es ist stets so nahe...«, sagte ich plötzlich. »Alles ist zum Greifen nahe. Es ergibt alles einen Sinn. Als wäre ich jemand anders. Und dann, wenn die Bilder unerträglich werden, zerfällt es zu einer absurden Phantasie. Als ob mein Unterbewusstsein sich im letzten Augenblick einmischen würde, um zu verhindern, dass ich wahnsinnig werde.«
»Also ist es bis zu dem Augenblick, an dem alles surreal wird und du erwachst, irgendwie kein richtiger Traum?«
»So fühlt es sich an«, entgegnete ich, obwohl ich nicht glaubte, dass sie sich wirklich vorstellen konnte, was ich meinte. »Als würde man aus einer Doku plötzlich in einen Horrorfilm wechseln, ohne den Übergang zu merken.«
»Ich sehe schon«, meinte Evelyn. »Wir anderen langweilen uns richtig, wenn wir schlafen.«
Meine kleine Isis stand auf und verschwand im Schlafzimmer. Sie war nur Augenblicke später zurück. Diesmal ohne Kimono, doch in ihren seidenen Jacques-Britt-Boxershorts, einem gelben Unterhemd und schwarzen Tanzschuhen.
Sie legte eine selbstgebrannte CD in meine Bang & Olufsen und schob den Sessel beiseite. Es gab zwei Leidenschaften in Evelyns Welt: Tanz und Sadomasochismus. Doch davon zu sprechen, dass Evelyn diese Leidenschaften besaß, wäre kaum zutreffend gewesen, denn ich gewann zunehmend den Eindruck, dass es umgekehrt war. Diese Leidenschaften besaßen Evelyn. Sie war ihnen ausgeliefert und von ihnen genauso abhängig wie von Wasser und Luft.
Der sanften, doch graduierenden Grooves begannen durch die Wohnung zu pulsieren wie Ozeanwellen. Die Beats brandeten auf meinem Brustkorb und glitten zurück, um dem nächsten Pulsschlag Platz zu machen. Ich kannte Evelyns Musik inzwischen ganz gut. Das hier war Wamdue Project . Deep House. Mit einem Schuss Down Tempo . In Evelyns Nähe blieb man immer hip . Sie war eine DJane, eine Performance-Künstlerin und Tänzerin. Ich hatte in München gedacht, ich würde mich ein wenig auskennen. Doch Evelyn, die
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