In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
hast jetzt Lederklamotten für 3800 Mark im Schrank«, bemerkte Evelyn kritisch und fröstelte.
»Da hinten gibt es Taxis«, sage ich und deutete auf die Kreuzung.
In der Kabine des Wagens überwältigte uns eine angenehme, ermüdende Wärme.
Evelyn vergrub wortlos ihr Gesicht in meinen Mantel.
»Lass uns zu mir fahren und Sushi bestellen«, schlug ich aufmunternd vor. »Ich hätte Lust auf Tamago und Sake Maki!«
Doch ich kannte bereits die Antwort.
Das größte Klischee unserer Zivilisation, immer unerträglicher mit jeder neuen Wiederholung, stand hier unverrückbar im Raum: Frauen sind unbegreifliche Wesen, rätselhaft und undurchsichtig. Es lag natürlich auf der Hand, dass ich als Mann einfach nicht genügend Begriffsvermögen besaß, um die scheinbare Unberechenbarkeit ihrer Entscheidungen und Handlungen zu verstehen, und dass nicht jedes Problem mit einer schnellen Nummer, einer Runde Sushi oder irgendeiner anderen Ablenkung aus der Welt geschafft werden kann. Natürlich besteht auch die Interpretationsmöglichkeit, dass Frauen einfach nur willkürliche Nervenbündel sind, mit Reaktionsmustern, mit den nicht einmal die Quantenmechanik klarkommt. Aber auch in diesem Fall besaß ich eindeutig nicht genug Begriffsvermögen, um das zu erkennen.
Sie küsste mich kurz und beinahe beiläufig, bevor sie aus dem Taxi rutschte. Gedankenlos sah ich in den Rückspiegel des Taxifahrers und meine Augen treffen seine. Es ist derselbe Fahrer, wie am ersten Tag, als ich Evelyn mitnahm.
»Ich weiß, an der Reeperbahn«, sagte er und fuhr grinsend los.
2.07 Riss in der Zeit
Und dann sah ich sie.
Tina wohnte direkt neben mir und war mir doch all die Monate nie begegnet. Nachdem ich den Taxifahrer bezahlt hatte, traf ich sie unten am Hauseingang. Ich ließ ihr den Vortritt und rechnete damit, dass sie früher oder später in einem der Stockwerke abbiegen und zu ihrer Wohnung gehen würde. Doch sie marschierte mit mir bis in die vierte Etage, und ich konnte die ganze Zeit auf ihren aphroditischen Hintern starren, der in einer blauen Sporthose steckte. Sie blieb erst in meinem Stockwerk stehen und vor der Tür nebenan. Während wir beide mit unseren Schlüsseln an den Türen klapperten, trafen sich unsere Blicke und verschmolzen für Augenblicke zu einem seltsamen Riss in der Raumzeit. Wir hatten kein Wort gewechselt oder Grußformeln getauscht. Sie war beim Öffnen der Tür schneller als ich, und bevor ich mich versah, war sie in ihrer Wohnung verschwunden. Ich stand noch immer dort, wie festgefroren, mit der Hand am Türknauf und heilfroh, dass sie meine ausgefallene Kleidung unter dem zugeknöpften Mantel nicht hatte sehen können.
Am nächsten Morgen, während ich mir in der Küche Milch in meinen unverzichtbaren Morgenkaffee rührte, fiel mir mein dahinschwindendes Vermögen ein. Über die unangenehmen Dinge denkt man immer im trostlosen Morgengrauen, nicht in den ausgelassenen Abendstunden.
Die Töchter des Königs von Siam hatten mich gut erleichtert.
Ich öffnete mit der dampfenden Tasse in der Hand das Gefrierfach und nahm die Plastiktüte heraus. Das Päckchen fühlte sich recht schwer an.
Ich stellte die Tasse beiseite und wickelte mit einem nicht gerade intelligenten Gesichtsausdruck die Verpackung auf.
Jemand hatte den Stapel wieder aufgestockt. Ich zählte hastig die Scheine durch und kam auf Dreißigtausend.
Nachdenklich gab ich einen unartikulierten Laut von mir und taumelte ins Wohnzimmer, wo ich mich auf das Sofa fallen ließ.
Verdammter Kapitän Nemo. Ich hatte sie stellenweise vergessen. Doch sie waren da. Sie sind immer da gewesen.
Würden sie mich jemals ansprechen? Würden sie jemals erklären, was das eigentlich war, das meinem Leben komplett auf den Kopf stellte?
Wie viel hatte ich eigentlich noch zu tun, mit dem Kerl, der im Haus der Kraniche vor sich hinvegetierte?
An diesem Morgen waren es einfach einige Fragezeichen zu viel. Heute wollte ich einige Antworten.
Ich zog mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf und ging in ein Internetcafé mit dem Namen »T.C.N.«. Die Abkürzung stand für »Trance-Cyberian Network«, was auf einer protzigen silbernen Tapete zu lesen war, die über der gesamten Länge der Rückwand klebte. Der zuständige Betreuer oder Wirt, oder wie man diese zumeist gelangweilten Leute hinter dem Tresen eines Cybercafés nennen will, wippte abwesend auf einem Barhocker und sah sich in einem kleinen Fernseher Baywatch an. Das mit dem Kaffee nahm keiner so
Weitere Kostenlose Bücher