In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
waren in der Küche unter der Spüle versteckt. Ich nahm die schwere Pistole heraus und wog sie in meiner Hand.
Mein Ego war nach der martialischen Begegnung mit Tina recht angeknackst, was nicht immer das schlechteste ist. Doch ich wusste, dass diese befremdlichen Verschwörer aus München mir im Nacken saßen, und ich konnte wenigstens versuchen, die Chancen etwas auszugleichen.
Das kleine Problem, dass ich bisher nur einmal, in dem abgestellten Zug in Pasing, eine Pistole in der Hand gehalten hatte, und damals keine besonders rumreiche Figur abgab, war ein hässlicher, kleiner Makel in meinem Konzept. Doch daran konnte ich wenig ändern. Ich nahm die Waffe aus dem Buch heraus, lernte es, sie zu entsichern, die Magazine zu wechseln und die berühmte einsame Patrone aus der Kammer zu entnehmen. Viel mehr konnte ich nicht tun, da Schießübungen in meiner Wohnung vermutlich das halbe BKA auf den Plan gerufen hätten.
Ich saß auf dem Bett, musterte die Waffe und überlegte die nächsten Schritte. Meine Augen brannten vor Müdigkeit. Ich wusste, dass die Zeit der Muße irgendwie vorbei war. Ärger bahnte sich an. Dinge verdichteten sich. Ich beschloss Evelyn in mein kleines Geheimnis einzuweihen. Sie würde mich auslachen, doch ich begann mir Sorgen zu machen, dass sie durch meine undurchsichtige Situation in Gefahr geraten könnte. Dr. Mårtenssons Wohnung war nicht mehr so anonym und sicher, wie ich gedacht hatte.
Ich schob die Pistole unter die Bettmatratze und ließ mich auf das Bett fallen. Dann sterbe ich eben, dachte ich trotzig. Hauptsache, ich kann jetzt etwas schlafen.
In wenigen Stunden würde es dämmern. Ich hatte wirklich genug für heute.
Draußen begann langsam der Regen gegen das Blech der Dachrinnen zu trommeln und all die Zigarettenstummel und all das Erbrochene wegzuspülen, all die verbrannten Streichhölzer und bunte Lose mit dem Aufdruck »Niete«, gebrauchte Kondome und menschliches Blut, nach Fisch riechende Seiten einer Zeitung und Hundekot. Für heute war es wieder vorüber. Nur unten auf dem Altonaer Fischmarkt stellte sich gerade der Alltag ein.
Es war immer dasselbe mit mir. Wie damals in München, als ich im Zug saß. Ein Teil von mir zitterte im Schock, ein anderer freute sich über eine seltsame Lebensnähe. Es war, wie Evelyn es schilderte, als sie von SM sprach: Plötzlich ist man voll wach. Der Tag war vorüber, und mein Kopf schien nur noch sinnlose Ladungen Adrenalin auszustoßen, die sich nun mit der körperlichen Müdigkeit einen Gefecht lieferten. Doch die Müdigkeit gewinnt am Ende immer. Sex wäre jetzt die Krönung. Erschöpfter, träger Sex.
Pech gehabt.
2.08 Tunnelplay
Als das Telefon klingelte, hatte ich gerade meinen Hyper-Albtraum. Auf einem kleinen Friedhof schlug mich der Mann mit dem bordeauxroten Zylinder mit seinem Spazierstock ins Gesicht und ich stürzte rückwärts in eine breite Grube. Sie war voller Leichen, die mit einer Kalk dünnen Schicht aus Kalk überschüttet waren.
Mein Telefon klingelte fast nie. Außer Evelyn, hatte ich niemandem diese Nummer gegeben, und so erwartete ich genau sie. Mit Schweißperlen auf der Stirn hauchte ich in die Sprechmuschel.
Doch es war Robert.
»Wir haben uns auf der Party kennen gelernt«, eröffnete er mir, als hätte er die Hoffnung, ich würde mich nicht an ihn erinnern. »Ich weiß nicht, ob dir Evelyn erzählt hat, was mal zwischen uns vorgefallen ist. Es ist nur...« Seine Worte taumelten, meinen Gedanken nicht unähnlich.
»Hmmm«, murmelte ich trocken und rieb mir mein verschlafenes Gesicht, während ich überlegte, ob ich nur noch von lauter Irren umgeben war.
»Alles was ich will, ist einfach zu erklären, dass es mir leid tut und... Äh, zu erklären, wie es dazu überhaupt kommen konnte...«
Er klang wie ein Kind, dessen Eltern ihn zwischen die Schulterblätter schubsen und ihm von hinter die Entschuldigungsfloskeln vorsagen.
»Ok«, willigte ich wortkarg und hustete kurz. »Aber solltest du das nicht eher ihr sagen...?«
»Sie ist süchtig nach dem ultimativen Kick. Sie ist wie einer dieser Freaks, die mit Fallschirmen von Wolkenkratzern springen. Totaler Adrenalinjunkie. Wir hatten viele Abende darüber geredet, wie wir einen höheren Grad an Spontaneität erreichen könnten...« Es sprudelte aus ihm heraus, als ob er Evelyn bei einem Lehrer verpetzen wollte. Ich wusste, dass es für mich nichts auf der Welt gab, das dazu beitragen konnte, ihn zu mögen. »Sie war auf der Suche nach der
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