In den Spiegeln (Teil 1, 2 & 3) - Die dunkle Stadt (German Edition)
heftigen Erfahrung. Es war meine Aufgabe mit neuen Szenarios zu kommen. Die Voraussetzung war, dass sie nicht wissen durfte, was sie erwartete. Wir wollten weg von den Rollenspielen, bei denen vorher ausgemacht wird, worum es gehen soll. Das ultimative Tunnelplay. Es tut mir leid, dass sie damals mein geheimes Szenario nicht so gut verdaut hat...«
Er schwieg eine Weile und ich lauschte dem chaotischen Rauschen in der Leitung.
»Ich will mich mit ihr versöhnen«, brabbelte er reumütig. »Sie sagte, wenn du dabei bist, trifft sie sich mit mir auch...«
Ich hatte es verstanden. Evelyn benutzte mich, um Robert ein wenig zu demütigen. Er sollte bei mir anrufen und um einen Termin betteln.
»Ich werde es mir überlegen«, erwiderte ich und legte auf. Arschloch.
Ich ließ Wasser in die Wanne einlaufen und trat lauschend an die Wand heran. Aus Tinas Wohnung drangen dumpfe Schläge gegen den Sandsack an mein Ohr. Stampfen. Kurze Schreie. Wenigstens eine, die hier bereit war.
Als ich eine halbe Stunde später das Wasser aus der Wanne ablaufen ließ, dachte ich daran, dass mir mein Leben genauso vorkam, wie die Flüssigkeit im Abfluss. Das Wasser in einer Badewanne spürt von der ersten Sekunde an, dass jemand den Stöpsel rausgezogen hat und dass es irgendwo am unteren Ende immer weniger wird. Es fühlt sich am Anfang nur nicht besonders schlimm an. Ich musste an eine Zeichnung von Zdenek Burian denken, in einem Buch über Dinosaurier, das ich als Kind gerne las. In den Siebzigern gab es noch die vorherrschende Meinung, dass die ganz großen Saurier einen so langsamen Metabolismus besaßen, dass ein Fleischfresser ihnen zehn Minuten lang heimlich den Schwanz abfressen konnte, bis sie überhaupt den ersten Schmerz spürten. Auf der stimmungsvollen Zeichnung konnte man einen Velociraptor sehen, der gemütlich den behäbigen Brachiosaurus von hinten auffraß, während der dicke Vegetarier mit dem Giraffenhals anteilnahmslos an den Blättern einer Zypresse zupfte. Wir gehen durchs Leben wie korpulente Dinosaurier und die Zeit ist der Fleischfresser in unserem Nacken. Das ist keine Neuigkeit. Dennoch hatte ich nie den Eindruck, dass unsere Erkenntnisfähigkeit daraus irgendeine Konsequenz zog.
Ich zog mir meinen warmen Bademantel an und machte mir einen Kaffee. Mit der dampfenden Tasse in der Hand setzte ich mich ans Fensterbrett. Die Luft war kühl und feucht. Sie kündigte Regen an.
»Wo seid ihr, ihr Mistkerle?« brummte ich und musterte die Straße. Ich wollte ein auffälliges Auto, eine Gruppe aus Leuten identifizieren, die meine Wohnung beobachteten. Einen einzelnen Mann im Trenchcoat, der eine Zigarette rauchte und sich lässig gegen eine Laterne lehnte. Doch da unten waren nur Leute, die emsig ihrer täglichen Beschäftigung nachgingen.
Nach einer Weile erkannte ich Evelyn. Sie überquerte die Kreuzung und kam auf mein Haus zu.
Sie trug an diesem Tag einen adretten, schwarzen Pyjama. Die Voilebluse war fernöstlich inspiriert und hatte einen hohen dunkelroten Stehkragen. Die schwarze Seidenhose war kurz geschnitten und endete oberhalb ihrer Knöchel auf. Die nackten Füße steckten in schwarzen Espadrilles. Sie wirkte wie eine Khmer Rouge auf dem Laufsteg. Evelyns Kleidung war stets eine Augenweide und ein Schlag auf die Nase in einem. Wie ausgefallen ihre modischen Ideen sein mochten, stets hatte man den Eindruck, sie passten perfekt zu ihrer Gestalt und ihrem Charakter und überhaupt nicht zu ihrer Umgebung oder gar zur Jahreszeit. Es mussten schon anderthalb Meter Schnee fallen, bis sie einen Minirock anzog.
Gähnend betrat ich den Flur und sah das Sofa. Ich hatte es in der Nacht tatsächlich geschafft, es durch den schmalen Durchgang aus dem Wohnzimmer vor die Eingangstür zu schieben.
Ich legte den Teller beiseite und schon das Sofa zumindest einen Meter zurück, damit sich die Tür öffnen ließ. Dann wartete ich, bis sie klingelte.
»Etwas kalt für solche Schuhe«, begrüßte ich sie.
»Besser als mit einem Draht ins Auge«, erwiderte Evelyn.
Sie kletterte über das Sofa, um ins Wohnzimmer zu kommen, während ich faul den Umweg über die Küche nahm.
»Muss ich das verstehen?« rief sie mir zu.
»Nicht wirklich«, brummte ich.
Als ich im Wohnzimmer ankam, stand Evelyn schon vor dem CD-Player und kramte aus meinem Stapel, der eigentlich ihr Stapel war, eine CD hervor. Nur Sekunden später wurde die Wohnung von Beats und Dezibel von The Prodigy erschüttert.
Ich ließ den Bademantel fallen,
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