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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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Fortschritte gemacht hast, die Bürde des Weltlichen abzustreifen«, sang Marita Ribeau und breitete in einer theatralischen Geste die Arme aus. »Magst du uns zu einem anderen Geweihten führen, der uns Auskunft geben kann auf Fragen des Schmutzes und der Niederungen einer Welt, die wir alle verabscheuen? Ich bin Marita Ribeau, Sphärenschwimmerin und Freghel, und ich richte diese Bitte im Namen des Sozialkoordinators Yama Jambavat an dich ...«
    »Ach so«, antwortete der Priester sichtlich ernüchtert. »Natürlich, selbstverständlich. Vielleicht wenden Sie sich an Akim Halberstadt. Er gehört unserem Seligen Konzil an, und ich bin sicher, daß er alle Ihre Fragen beantworten kann. Herbignac ist derzeit unabkömmlich.«
    »Ich verstehe«, erwiderte Marita und lächelte.
    »Hier entlang, bitte«, sagte der Priester und geleitete sie durch den Mittelgang. Sie verließen die Halle, schritten durch einige dunkle Gewölbe, in denen Sühner in Büßergewändern an den mit Ferroplasma überzogenen Mauern hockten, und gelangten schließlich an eine breite, mit schmiedeeisernen Holmen versehene Holztür. »Warten Sie einen Augenblick.«
    Der Priester verschwand durch die Tür, und Marita Ribeau wandte sich dem Comptroller zu. »Sehen Sie?« Sie lächelte. Natürlich. »Es geht auch anders. Ein bißchen mehr Freundlichkeit, etwas weniger Aggressivität, und die Menschen reagieren viel aufgeschlossener.« Sie warf ihr nunmehr in einem phosphoreszierenden Grün getöntes Haar zurück.
    »Sie sollten einmal zu uns kommen«, knurrte Clay, und sein kantiges Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an. »Dann ...«
    »Nein«, unterbrach sie ihn, und das Lächeln löste sich so plötzlich auf wie eine Seifenblase. »Ich weiß, wie es bei euch auf der Erde und besonders in den VGAS zugeht. Es ist eine Welt der Vergangenheit.« Sie breitete die Arme aus, und nun lächelte sie wieder. »Dies hier ist die Zukunft, Dalmistro. Oder zumindest eine Zukunft. Wir wissen alles über euch, aber ihr nichts oder nur wenig von uns. Oh, ich weiß Bescheid über die Tief- und Hochstädte, über den Permanenten Krieg in den Gassen und Gossen, das Wohlleben der sogenannten ›besseren Bürger‹, die Frauenhorte« – sie schüttelte abfällig den Kopf –, »die Psychokasernen, in denen ihr die unterbringt, die all das nicht ertragen. Ich kenne die Struktur eurer Gesellschaft. Und wenn ich nicht wüßte, welche Art Menschen in einem solchen System heranwachsen, bräuchte ich nur Sie anzusehen. Die Gewalt ist euer ständiger Begleiter wie ein dunkler Schatten, den ihr nicht ablegen könnt. Ihr steckt mehr als sechzig Prozent eures Bruttosozialprodukts in die Produktion sogenannter Friedensengel. Ist das eure Vorstellung von Frieden? Eine Langstreckenrakete, deren atomares Potential ausreicht, um eine Region von der Größe Mediterrans in eine Strahlenwüste zu verwandeln? Eure Gesellschaft ist auf Fundamenten der Gewalt und Aggression aufgebaut, und ist es da verwunderlich, wenn die Gewalt des Staatsapparates erneut Gewalt erzeugt?«
    Ihre Stimme klang nun hitzig, und ihre dunklen Wangen glühten. Tasche summte.
    »Sie sind ein Relikt der Vergangenheit, Dalmistro, einer Epoche, aus der wir uns befreit haben.«
    »Ja«, höhnte Clay, »mit Hilfe von Seelenjägern, übergeschnappten Attentätern und Schwulen!«
    Sie seufzte. »Sie verstehen nicht. Ich glaube, Sie wollen auch gar nicht begreifen. Keine Gesellschaft ist perfekt – weil der Mensch eben ein Mensch ist und kein Gott. Es gibt auch bei uns Ausuferungen und Mängel, aber es kommt auf das Prinzip an. Unsere Gesellschaft ist völlig anders strukturiert als die Ihre. Unser Grundsatz besteht in der Möglichkeit der Selbstverwirklichung jedes einzelnen.«
    »Ich habe mich selbstverwirklicht«, stieß Clay hervor. »Und das auf der Erde. Ich habe mich hochgearbeitet aus der Tiefstadt, und ...«
    »Ich kenne Ihre Lebensgeschichte, Comptroller«, sagte Marita Ribeau scharf. »Und ich weiß auch, wie viele Existenzen Sie dabei zerstörten.«
    »Ich hatte Sie gebeten zu schweigen!« Erneut stieg das vom Ferroplasma induzierte Prickeln in Clay empor, und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß.
    Die Holztür öffnete sich knarrend; der Priester trat hervor und sagte: »Der Konzilsselige Akim Halberstadt ist bereit, Sie zu empfangen.«
    »Danke.« Marita Ribeau nickte ihm zu und trat ein. Clay folgte ihr rasch. Der Wortwechsel mit der Sphärenschwimmerin hatte ihn innerlich aufgewühlt, und er

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