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In den Städten, in den Tempeln

In den Städten, in den Tempeln

Titel: In den Städten, in den Tempeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Horst & Brandhorst Pukallus
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gefallen?«
    »Die postsoziale Gesellschaft hat mit der gefühlsduseligen Wohlfahrtsideologie Schluß gemacht«, antwortete Clay mit unverhohlenem Zynismus. »Im Vordergrund allen Denkens und Handelns auf der Erde steht das Postulat, daß es zwei Klassen von Menschen gibt, nämlich die Fähigen und die Unfähigen. Die Fähigen bekommen so gut wie alles, die Unfähigen so gut wie nichts. Naturgemäß hält jeder sich für fähig. Der Beweis der Fähigkeit ist der Erfolg. Also ist jeder zu allem bereit, um Erfolg zu haben.« Er stieß einen dumpfen Laut aus. »Wenn Sie erlebt hätten, was ich auf meinem Weg nach oben erlebt habe ... Aber ich war schlauer als meine Konkurrenten. Friede ihrer Asche.«
    »Könnten Sie sich vorstellen, bei uns auf der Venus zu leben?« erkundigte sich die Ribeau nach kurzem Schweigen.
    Clay ließ ein Brummen vernehmen. »Das Ganze kommt mir vor ...« Er verstummte und verzichtete darauf, seine Gedanken auszusprechen. Das Dasein auf der Venus kommt mir vor wie ein Karneval, eine zeitweilige, bunte Ausgelassenheit, die keine Zukunft hat, weil sie kein Dauerzustand sein kann. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn diese Kolonien zum Untergang verurteilt sind. Die Triebkraft des Konkurrenzdenkens fehlt. Statt dessen drückte er sich milder aus. »Für meine Begriffe haben die Venusier zu wenig Ehrgeiz. Ich brauche die ständige Herausforderung, die Selbstbehauptung.« Doch selbst in seinen eigenen Ohren zeichneten seine Worte sich durch den flauen Klang der Floskelhaftigkeit aus. »Auf jeden Fall mißt man hier die Lebensqualität an Werten, die mir fremd sind. Das hier ist nichts für mich.«
    »Sie sagen das wahrscheinlich nur unter dem Einfluß eines vorübergehenden Kulturschocks. Grundsätzlich können Menschen sich überall eingewöhnen.«
    Clay schüttelte den Kopf. »Aber nicht alle. Wer wäre ich denn auf der Venus? Sie wissen, wie ich hier am laufenden Band behandelt worden bin. Auf der Erde bin ich als Comptroller Mitglied einer Elite, habe den Allgemeinwirtschaftlichen Nützlichkeitsindex A, Anrecht auf Kreditkarten Stufe Schwarz, zinslose Finanzierung einer Wohnbastion, staatlichen Schutz und Infrastruk-Priorität, ich kann Wahlfrauen nehmen, Kinder ...« Seine Stimme sank herab; das war das allerletzte Thema, das er jetzt anschneiden wollte. »Jedenfalls müßte ich hier auf der Venus vieles davon aufgeben.«
    Marita nickte. »Es stimmt, bei uns steht die individuelle Selbstverwirklichung im Vordergrund. Ein Leben, wie Sie's daheim führen, unter permanentem Streß, ist allerdings erwiesenermaßen karzinogen, und ich bezweifle, daß ...«
    Unwirsch winkte Clay ab. »Sie sehen vieles als erwiesen an, das ich für erwiesenen Humbug halte. Wir sollten uns nicht mit Einzelheiten befassen.«
    »Diskutieren Sie nicht gern?« fragte die Ribeau verdutzt.
    Clay dachte einen Moment lang nach. »Nein«, gestand er und lachte abgehackt. »Ich gebe lieber Anweisungen. Ich diskutiere nur, wenn dabei konkrete Resultate zu erwarten sind.«
    Marita lachte ihrerseits. »Anweisungen ...« In ihrer Stimme schwang ein Gemisch von Belustigung und Verachtung mit. »Ja. Ich kann's mir vorstellen. Heraus mit deiner geheimen Buchführung, Steuerflüchtling, sonst laß ich dich zur Elektropeitsche tanzen! Spreiz die Beine, Wahlfrau, mein Sperma braucht Auslauf! Tun Sie dies! Geben Sie mir das! Besorgen Sie mir jenes!« Die Ribeau beugte sich neben ihm auf dem Ergpolster vor und schaute ihm aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht. »Sagen Sie, Dalmistro, finden Sie das alles nicht manchmal selbst zum Kotzen?«
    Clay wußte darauf keine Antwort. Die Konstanten seiner Existenz waren ihm längst zu in Fleisch und Blut übergegangenen Selbstverständlichkeiten geworden.
    »Sie tun mir leid«, sagte Marita und zog die Beine an den Leib, um die Arme um sie zu schlingen. Clay musterte sie aus den Augenwinkeln. Ihre Abwehrhaltung zeigte an, daß sie etwas verbarg, und ihre nächste Äußerung bestätigte seine Schlußfolgerung. »Aber ich habe Sie auch gern«, fügte sie leiser hinzu und entfaltete ihre Gliedmaßen wieder, wie um ihre Offenbarung zu betonen. »Das ist es, was Ihr Verhalten für mich so schwierig macht.« Sie legte eine Hand auf seinen Unterarm. Der Griff ihrer Finger war kühl und etwas fest, wie Clay es hinlänglich von sehr selbstbewußten Frauen kannte.
    Dergleichen war nicht sein Fall, und er war entschlossen – selbst auf die Gefahr hin, die Venusierin endgültig zu verärgern –, unnachgiebig

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