In der Box: Wie CrossFit® das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh (German Edition)
morgen. CrossFitter erfahren erst einen Tag zuvor, welches Workout ansteht – und in manchen Studios wissen sie es sogar erst nach Betreten der Box. Das WOD ist immer eine Überraschung, die dazu dient, den Körper aus der Reserve zu locken, damit er niemals in eine Routine verfällt. Vielleicht hatte Glassman im Laufe der vielen Jahre im Gold’s Gym gesehen, wie die Personal Trainer ihren Klienten ständig dasselbe Workout vorsetzten, Tag für Tag und Jahr für Jahr. Oder er hatte beobachtet, dass die Sportler immer wieder dieselben Übungen absolvierten und sich dann wunderten, dass sich keine Fortschritte mehr einstellten. Bei CrossFit hört man oft den Satz »Routine ist Gift«. Er gehört zum Aspekt des »Trommel-Modells«, über das Glassman oft redet: Füllen Sie alle Fähigkeiten und Übungen in eine Lostrommel, ziehen Sie völlig willkürlich einige Teile heraus und schon haben Sie Ihr Workout – drei, zwei, eins, los. So bereitet man auch einen Feuerwehrmann oder Soldaten auf das »Unbekannte und das Unwägbare« vor.
Lon Kilgore, ein Sportphysiologe, der sich ausführlich mit CrossFit beschäftigt hat, findet, dass dieser Aspekt von CrossFit problematisch sein kann. Wenn die Auswahl der Workouts ausschließlich zufällig erfolgt, entgehen dem Sportler die Vorteile eines auf ihn und seine individuellen Bedürfnisse abgestimmten Trainingsprogramms. »Obwohl ich das Ziel absolut richtig finde, welches das Modell verfolgt«, sagte er, »ist es nun einmal so, dass ich, wenn ich etwas dem Zufall überlasse, zwar vielleicht das Richtige wähle, möglicherweise aber auch eine Übung oder ein Workout, das nicht unbedingt zur Verbesserung meiner Fitness beiträgt.«
Kilgore vertritt die Auffassung, dass ein CrossFit-Coach seinen Sportlern zu größeren Fortschritten verhelfen könnte, wenn er weniger dem Zufall überließe – auch wenn dadurch der Überraschungsmoment wegfällt, den viele CrossFitter gerade so reizvoll finden. »Wenn wir die Übungen und Workoutpläne mit Bedacht wählen und sie zu einem umfassenden Programm zusammenstellen, sind wir voraussichtlich besser dazu in der Lage, eine Steigerung der Fitness herbeizuführen«, bemerkte er. »Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Programmplanung im Kontext von CrossFit funktioniert; allerdings gebe ich zu, dass dadurch der Spaßfaktor im Training abnehmen könnte. Nicht zu wissen, welches WOD heute ansteht, ist vergleichbar mit dem Auspacken von Geschenken an Weihnachten: Man freut sich darauf und will wissen, was sich in der Schachtel befindet.«
Die dritte Achse
Glassman fügte seinem Diagramm eine dritte Achse hinzu und erweiterte sie so zu einem dreidimensionalen Modell, das eine noch genauere Analyse der Gesundheit eines Sportlers ermöglicht. Diese dritte Achse misst ebenfalls die Zeit, allerdings über Jahre hinweg. Wenn der Sportler älter wird und die Entwicklung seiner Fitness kontinuierlich im Kurvendiagramm festgehalten hat, nimmt dieses irgendwann die Gestalt eines nach vorne bzw. in den Raum fallenden Vorhangs an. Für Glassman zeigt der dreidimensionale Bereich unter dem Vorhang an, wie es um die Gesundheit der betreffenden Person bestellt ist. Der Sportler erhält Momentaufnahmen seiner Fähigkeit, alle möglichen Leistungen zu erbringen, und kann seinen aktuellen Leistungsstand mit dem von vor einem Jahr, fünf oder 20 Jahren vergleichen.
Aber obwohl die dritte Achse den Faktor Zeit beschreibt, steht diese – oder eine lange Lebensdauer – nicht im Vordergrund. In Glassmans Definition von Gesundheit und Fitness liegt die Betonung auf der Fähigkeit, Arbeit zu verrichten bzw. Leistung zu erbringen. In seinen Vorträgen warnt er vor einer allzu starken Fixierung auf ein langes Leben oder die Vermeidung von Krankheiten und hebt stattdessen den Aspekt der Lebensqualität hervor, die man in der Zeit hat, die einem gegeben ist. Für Glassman bedeutet Fitness im hohen Alter, ein unabhängiges Leben zu führen, ohne fremde Hilfe aufstehen oder Treppen steigen und das Leben genießen zu können. Gute Cholesterinwerte, ein niedriger Blutdruck oder nicht an Krebs erkrankt zu sein bedeuten nicht zwangsläufig, dass man eine hohe Lebensqualität hat. Ganz abgesehen davon, dass diese Faktoren auch keine Garantie dafür bieten, dass man sich seine körperliche Funktionsfähigkeit bis ans Lebensende erhält oder niemals invalide wird.
Die letzten zehn Lebensjahre seiner Großmutter haben einen bleibenden Eindruck bei Glassman hinterlassen
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