In der Brandung
sieben Monate.
»Ungefähr sieben Monate.«
Und welcher Tag war heute? Montag, klar, denn er war beim Doktor gewesen und hätte dort Emma treffen müssen, die jedoch nicht hingegangen war. Er hatte das Gefühl, dass seit dem Zeitpunkt, als er die Wohnung verlassen hatte, um zu seiner Sitzung zu gehen, nicht nur ein paar Stunden, sondern Tage vergangen waren, und zwar gleich mehrere. Dieses Gefühl war so stark, dass Roberto sich fragte, ob nicht wirklich ein paar Tage vergangen waren und er sich irrte, weil er inzwischen in einer persönlichen Zeitfalle gefangen war. Aber um auf die Frage zurückzukommen, welcher Tag im April war überhaupt heute? Welches Datum?
Da war sie wieder, diese Panik, dieser Eindruck, auf fremdem Terrain herumzuirren. Ein Ort, an dem sich hinter vertrauten, alltäglichen Gegenständen monströse Gestalten verbargen. Gestalten, die auf dich losstürzen und dich auffressen konnten. Es wollte ihm nicht gelingen, das Datum zu rekonstruieren – irgendwas Mitte April –, und er überlegte, ob er auf sein Handy schauen sollte. Zu diesem Zweck würde er es jedoch aus der Hosentasche holen müssen. Das wiederum erschien ihm unhöflich und auch irgendwie feige. Morgen würde er sich einen Kalender kaufen und jeden Tag auf das Datum achten. Und dann würde er nach und nach die Chronologie der vergangenen Monate und schließlich der vergangenen Jahre rekonstruieren.
»Welcher Tag ist heute?«
»Montag, der 18. April. Warum?«
»Ich komme manchmal durcheinander. Und ja, ich nehme verschiedene Medikamente.«
»Ich habe vor ein paar Monaten mit den starken Mitteln aufgehört. Abends nehme ich allerdings immer noch ein paar Tropfen Minias. Der Doktor meint, das sei in Ordnung, denn Schlaf sei wichtig, und ein paar Beruhigungstropfen hätten noch niemandem geschadet.«
Roberto wunderte sich im Stillen über diesen unbeschwerten und fröhlichen Umgang mit dem Thema. Dann hob er das Glas und prostete ihr zu, Emma hob ebenfalls das Glas, und beide tranken. Sie sah ihn an, und er konnte ihren Blick zwar nicht deuten, aber die Sache gefiel ihm.
Alle Gerichte kamen zugleich, Teller und Schüsseln mit Reis, indischem Brot, Tikka-Masala-Huhn, Lamm-Curry, Linsen.
Sie stürzte sich aufs Essen wie jemand, der lange gefastet hat, und etwa zehn Minuten lang wechselten sie nur wenige Worte.
Das Schweigen wurde erst gebrochen, als sie auf den Nachtisch warteten.
»Also, wenn ich alles richtig verstanden habe, arbeitest du nicht mehr als Schauspielerin?«
»Du wüsstest wahrscheinlich gern, was ich sonst tue.«
»Wenn das nicht indiskret ist.«
»Ich bin Verkäuferin.« Sie sagte es mit einer kaum merklichen Spur von Aggressivität.
»Wie bitte?«
»Meine Freundinnen schimpfen mich, wenn ich das sage. Sie finden, dass das nach Selbstmitleid klingt und dass ich gar keine Verkäuferin bin. Sagen wir also, dass ich eine Luxusverkäuferin bin, aber trotz allem eine Verkäuferin.«
»Ich glaube, das musst du mir genauer erklären.«
»Als ich merkte, dass ich nicht mehr schauspielern konnte und wollte, habe ich nach einem vollkommen anderen Beruf gesucht. Leider konnte ich nichts anderes. Und das ist immer noch so. Außer Singen, vielleicht, aber die Musikproduzenten standen nicht gerade Schlange bei mir. Wie auch immer, ich musste etwas finden, was für jemanden, der nichts kann, in Frage kommt. Ich fragte herum und bekam erst ein paar absurde Angebote, aber dann rief mich ein Freund an. Eigentlich ist er der Freund einer Freundin, und er war gerade dabei, eine Galerie zu eröffnen, oder besser gesagt: ein Zwischending zwischen einer Galerie und einem sehr anspruchsvollen Wohnladen. Bilder, Skulpturen, Möbel, Einrichtungsgegenstände … Ob ich Lust hätte, dort zu arbeiten? Das hatte ich durchaus, aber ich meinte, ich habe keine Erfahrung, weder mit Kunst noch mit Einrichtung, egal, ob luxuriös oder nicht.«
»Und was sagte er?«
»Er ist ein Selfmademan. Ein anständiger Kerl, aber vollkommen unbedarft, was Stil betrifft. Er sagte, was ihn interessiere, sei nicht meine Erfahrung. Er sagte wortwörtlich, dass ich cool sei, ein relativ bekanntes Gesicht habe und gute Umgangsformen.«
»Was hast du erwidert?«
»Erst war ich ein wenig beleidigt wegen dem ›relativ‹ , aber dann meinte ich, wir könnten darüber reden, wir haben uns getroffen, und um die Sache abzukürzen, wir haben uns geeinigt. Es war die richtige Entscheidung. Nicht das, was ich mir für mein Leben erträumt hatte, als ich auf der
Weitere Kostenlose Bücher