In der Brandung
wichtig. Emma wusste etwas über ihn und fragte weiter. Sie wusste einige Dinge, die er getan hatte und die er noch nie jemandem anvertraut hatte, nicht einmal dem Doktor. Vielleicht wusste sie sogar Dinge, die er noch nicht einmal sich selbst anvertraut hatte. Roberto schwankte bedenklich, bevor er sich diesem Ansturm von Wahnsinn entzog und es schaffte zu antworten. Doch dann traten die Koordinaten des Gesprächs wieder in den Rahmen der Normalität zurück.
»Ich gehörte einer Spezialeinheit an und habe später viele Jahre als Undercover-Agent gearbeitet.«
»Was heißt das? Ist das so etwas wie ein Polizei-Spitzel unter Kriminellen?«
»Ja, genau. Eigentlich dürfte ich dir so etwas gar nicht erzählen, aber ich denke, du hast nicht allzu viele Freundschaften im internationalen Drogenmilieu. Und außerdem habe ich mit dieser Arbeit abgeschlossen. Selbst wenn sie mich noch einmal in den Dienst aufnehmen sollten.«
»Warum hast du damit abgeschlossen? Und gleich für immer? Hat das etwas mit den Problemen zu tun, wegen denen du beim Doktor bist?«
»Ich würde schon sagen.« Er benahm sich gut. Er schwindelte nicht. Er bewegte sich vorsichtig auf dem schmalen Grat, der die Wahrheit von der Lüge trennt.
Sie schwiegen. Roberto betrachtete Emmas Gesicht, folgte der Linie, die vom Backenknochen zum Mundwinkel ging und die Kontur der Wange zeichnete. Sie trank Wein und tupfte sich dann mit einem Zipfel der Serviette einen Tropfen von den Lippen.
»Es steht dir natürlich frei, nicht zu antworten. Ich habe dir gesagt, dass ich noch nicht so weit bin, dass ich über meine Geschichte sprechen könnte, und dasselbe gilt auch für dich.«
»Die Arbeit eines Agenten ist sehr schwer zu vermitteln. Man spielt eine Rolle. Das Problem dabei ist, dass man sehr lange schauspielert, auch monatelang, manchmal sogar jahrelang. Die Leute, mit denen man den Großteil seiner Zeit verbringt – die Kriminellen –, sind dieselben, die man am Schluss festnimmt. Sie betrachten einen als Kollegen und manchmal auch als Freund, aber man selbst tut alles, um sie ins Gefängnis zu bringen. Wenn man dieses Leben lange führt, gerät man leicht in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren.«
Gut gemacht. Wieder keine Lüge. Alles wahr, aber ohne Einzelheiten, in sicherer Entfernung zu den scharfen Kanten, ohne an die Stellen zu rühren, die einen vor Schmerz aufschreien lassen.
»In gewisser Weise warst du auch ein Schauspieler.«
Roberto dachte über die exakte Bedeutung dieses Satzes nach. »Ja, in gewisser Weise war ich auch ein Schauspieler«, sagte er schließlich.
»Erzähl mir doch ein paar Geschichten aus deiner Arbeit. Das würde mich wirklich sehr interessieren.«
Roberto wollte gerade sagen, dass er das besser nicht tat, dass es nicht angebracht war, dass diese Dinge der Vergangenheit angehörten und es sich nicht lohnte, sie aufzuwärmen. Stattdessen willigte er ein und begann zu erzählen.
»Es war Anfang der Neunzigerjahre, ich arbeitete damals in Mailand. Ich ermittelte noch ganz normal, nicht verdeckt. Wir mussten einen Lauschangriff machen …«
»Was ist das?«
»Ich meine, eine Abhöraktion. Das heißt, dass man eine Wanze in der Wohnung von jemandem anbringt.«
»Wozu?«
»Der Betreffende hatte einen florierenden Handel mit Ecstasy laufen. Wenn man eine Wanze anbringen will, ist das Problem immer, wie man in die Wohnung, das Büro, Lager oder auch Auto derjenigen Person kommt, ohne dass sie es merkt. Damals verwendeten wir oft einen Trick, den man heute nicht mehr benutzt. Vermutlich hat er sich irgendwann herumgesprochen, und keiner ist mehr drauf reingefallen.«
»Was für ein Trick?«
»Wir ließen uns von der SIP helfen … So hieß die Telefongesellschaft damals. Wir baten sie, die Leitung zu unterbrechen, so dass der Teilnehmer den Kundendienst anrief. Dann kamen wir, als SIP-Techniker verkleidet, und montierten unter dem Vorwand, das Problem zu untersuchen, die Wanze in den Telefonapparat. Dort war es am leichtesten, sie zu verstecken und auch, sie abzuhören, aber die Abhöraktion lief nicht übers Telefon.«
»Nein, so was habt ihr wirklich getan?«, fragte sie belustigt und beugte sich über den Tisch.
Roberto nickte und lächelte ebenfalls.
* * *
Die Leitung war unterbrochen. Der Dealer rief den Kundendienst an. Wenige Stunden später standen Roberto und ein Techniker vor seiner Tür, in der Montur der Telefongesellschaft und mit entsprechenden Ausweisen.
»Guten Tag, der Herr, haben Sie ein
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