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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Hast du Lust, noch eine Runde zu drehen? Es ist Frühling, wir können das Motorrad nehmen und ein wenig Rom bei Nacht erkunden.«
    »Du fährst Motorrad?«
    »Nur noch selten. Früher bin ich viel öfter gefahren. Es gibt eine Menge Dinge, die ich früher getan habe und jetzt nur noch selten oder gar nicht. Aber heute Abend hätte ich richtig Lust, was meinst du?«
    Ich hatte auch einmal ein schönes Motorrad.
    Ein wunderschönes sogar. Und ich trieb eine Menge Unsinn, mit einer Gruppe von Idioten wie mir. Wir fuhren nachts über die Autobahn und drehten auf, bis wir mit 200 oder mehr durch die Nacht brausten. Wir veranstalteten wilde Verfolgungsjagden mit dem Motorrad, als ich bei der Raubkommission war. Jede Sekunde hätte ich während dieser Wahnsinnsfahrten verunglücken können. Aber daran dachte ich nie. Kein einziges Mal. Ich fürchtete mich vor nichts, und der Tod existierte nicht für mich.
    Danach hingegen begann ich, mich vor allem zu fürchten. Das war mir noch nie so klar gewesen wie in jenem Augenblick. Ich hatte ausgerechnet dann Angst vor dem Tod bekommen, als mir mein Leben nichts mehr wert war. Ich hatte aufgehört, Motorrad zu fahren. Ich hatte aufgehört, eine ganze Menge von Dingen zu tun. Wenn du Motorrad fährst – so wie ich es tat, jedenfalls –, stößt du immer an deine Grenzen. Den einen Moment bist du noch stark und unbesiegbar, einen Moment danach ein lebloser Körper, eine zerbrochene Puppe, mit offenen Augen und halb geöffnetem, staunendem Mund.
    Ich hatte auch einmal ein schönes Motorrad.
    Roberto dachte all diese Dinge auf einmal, atmete tief durch und spürte, wie es ihm eiskalt über den Rücken lief.
    »Gut, gehen wir.«

18
    Emma kam auf dem Motorrad aus der Garage gefahren und hatte schon den Helm auf. Am Lenkrad hing ein zweiter für Roberto.
    »Ich hoffe, er passt dir«, sagte sie.
    Roberto hatte ein wenig Mühe beim Aufsetzen. Dann schwang er sich hinter Emma auf den Sitz und setzte die Füße auf die seitlichen Stützen. Er roch den Duft ihrer Haare. Dann fuhren sie los.
    Emma war eine gute Fahrerin, die ihrem Beisitzer das Gefühl vermittelte, dass sie das Motorrad souverän beherrschte. Sie fuhr nicht schnell, aber man hatte den Eindruck, sie könnte es jederzeit tun, ohne die Kontrolle zu verlieren.
    Sie durchquerten die Straßen in aller Ruhe, mit einer Geschwindigkeit, bei der das Motorrad beinahe lautlos dahinschnurrte. Es glitt zwischen den Autos durch, folgte den Kurven, und in den dunkelsten Ecken schien es die Nacht mit dem Scheinwerfer verschlucken zu wollen.
    Von Zeit zu Zeit, wenn sie an einer Ampel hielten, sagte Emma etwas, das Roberto jedoch nicht verstand. Er hielt sich an den seitlichen Griffen fest und sah die Straßen, an denen sie vorbeifuhren, ohne sie zu erkennen. Er erkannte nur mit Mühe, dass sie irgendwann den Tiber überquerten und die Lichter der Engelsburg rechts hinter sich ließen. Etwa zehn Minuten später hielten sie an, und Roberto stieg ab mit dem Gefühl, zum ersten Mal Motorrad gefahren zu sein. In gewisser Weise war es auch so, dachte er, während er sich umsah. Sie waren auf dem Gianicolo.
    In das sanfte Rauschen eines Brunnens mischte sich der Duft von gemähtem Gras und unbekannten Blumen. Kaum Autos. In der Ferne verschwommene, beruhigende Lichter. Ein kleines Rudel streunender Hunde zog friedlich vorbei, immer seinem Leittier nach, schlüpfte in einen Gang unter einer Steintreppe und verschwand in Richtung Stadt, die unten am Fuß des Hügels funkelte.
    Während er den Hunden nachsah, dachte Roberto an die vielen schlaflosen Stunden, die er rauchend und ziellos durch die Straßen gelaufen war. In Gesellschaft von streunenden Hunden wie diesen, von Möwen, Nachtschwärmern, die in den frühen Morgenstunden heimgingen, Polizisten, Carabinieri, Müllmännern, Lieferwagen mit druckfrischen Zeitungen, der Stille der einen Stunde, in der niemand unterwegs ist, den ersten Joggern, die Dunkelheit und Kälte in Kauf nehmen, den Ersten, die zur Arbeit gehen, und dann all den anderen, und schließlich begann der Tag, und es wurde schwieriger, sich zu verstecken.
    »Bin ich banal?«, fragte sie.
    Roberto gab sich einen Ruck.
    »Warum banal?«
    »Ich weiß nicht. Weil ich hierher gefahren bin …«
    »Wenn ich dir jetzt etwas sage, wirst du es mir nicht glauben.«
    »Schieß los.«
    »Dies ist erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich hierherkomme.«
    »Du hast Recht, ich glaube es nicht. Wie ist das möglich?«
    Er zuckte die Achseln.

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