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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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richtige. Nichts war richtig. Und eines absehbaren Tages begegnete sie einem anderen und verließ ihren Mann.
    »Ich weiß, dass ich jetzt wie ein Flittchen dastehe, nein, unterbrich mich nicht, ich weiß, aber es ist zugleich wahr und nicht wahr. Ich hatte einerseits das Bedürfnis oder das Verlangen nach einem anderen Mann – oder wie du es nennen willst –, aber ich wollte auch einfach etwas tun, was alles kaputtmachte. Ich fühlte mich eingesperrt und suchte einen Ausweg, um aus dieser Falle freizukommen oder, besser noch, sie zu sprengen.«
    Der Ablauf wiederholte sich wie beim ersten Mal, beinahe identisch. Nur gab es diesmal kein Geschrei, keinen Streit, kein Hin und Her. Er war einfach fort. Tagelang ging er nicht ans Handy, rief nicht an, sagte nicht, wo er steckte, und sprach auch nicht mit dem Kind.
    Emmas Stimme war im Lauf der Erzählung immer nüchterner geworden, immer farbloser, immer monotoner. Sie hatte keine Höhen oder Tiefen mehr. Sie war wie das Brackwasser mancher Kanäle, dem man kaum ansieht, ob es sich bewegt oder ob es so still und tot ist, wie es scheint.
    »Genau zwei Wochen später, während der weder ich noch sein Sohn mit ihm gesprochen hatten, kam er bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Er war mit dem Motorroller unterwegs, ein Auto fuhr ihn an, und er war sofort tot, ohne zu leiden. Zumindest behaupteten die Ärzte das. Gibst du mir noch eine Zigarette?«
    Sie rauchte sie ganz auf, bevor sie erzählte, wie alles zusammenbrach. Da kannst du dir noch so oft sagen, dass die Beziehung zu Ende war, dass kein Zusammenhang bestand zwischen dem, was du getan hast, und dem, was dann passiert ist. Da kannst du dir noch so oft sagen – versuchen, dir zu sagen –, dass das Ganze eine schreckliche Tragödie war, die jederzeit hätte passieren können. Die Stimme, die das behauptet, wird von einer anderen übertönt, die viel lauter und stärker ist und die in alle Fasern deiner Seele dringt. Und diese Stimme sagt etwas ganz Einfaches und Schreckliches: Es ist deine Schuld.
    Es ist deine Schuld.
    Es ist deine Schuld.
    Es ist deine Schuld.
    In deinem Kopf entstehen plötzlich Gedanken, die du nicht erwartet hättest. Dass du diesen Mann geliebt hast. Dass er der einzige Mann war, den du je wirklich geliebt hast, und dass dir so etwas nie wieder passieren wird.
    Dass ihm, wenn er nicht von zu Hause weggegangen wäre, nichts geschehen wäre.
    Dass du ihn umgebracht hast.
    Dass du dem Jungen seinen Vater genommen hast.
    Die letzten Worte trafen Roberto mitten ins Gesicht, wie eine Ohrfeige.
    »Ich bitte dich.«
    »Entschuldigung«, sagte sie, wie aus einem Delirium auftauchend.
    »Entschuldigung«, sagte sie noch einmal, nachdem sie sich noch eine Zigarette angezündet hatte, die sie sofort wieder ausmachte, ohne sie zu rauchen.
    »Ich erzähle dir lieber nicht genau, wie die darauffolgenden Monate aussahen. Ich glaube auch, das wäre überflüssig. Meine Mutter hat mich schließlich zu unserem Doktor gebracht. Er ist ein Freund von ihr, und sie meint, es gibt nicht viele, die so gut sind wie er. Ich weiß noch, was sie sagte, als sie mich vor der Haustür absetzte.«
    »Was denn?«
    »Es war ein ungewöhnlicher Satz für meine Mutter, die immer sehr reserviert ist, sehr nüchtern, auch in ihrer Ausdrucksweise. Sie sagte: ›Er wird dir helfen, durchs Feuer zu gehen und zu überleben.‹«
    Warum erzählte sie ihm das? Und erzählte sie es tatsächlich ihm, oder war das nur eine Gelegenheit, sich auszusprechen, bei der es egal war, wer ihr Gegenüber war? Er sah sie an, um eine Antwort zu finden, aber Emmas Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Ein paar Sekunden später verloren ihre Worte die Bedeutung und waren nur noch Töne, nächtliches Rauschen und ein Gesicht im Halbdunkel.
    Als Roberto ihr wieder zuhörte, sprach sie über ihren Sohn.
    »Giacomo schreibt sehr gut, er schreibt wie ein Erwachsener, das hat er von seinem Vater.« Sie hielt inne, wie von einer plötzlichen Eingebung oder einem lästigen Gedanken getroffen. »Siehst du, ich kann nicht einmal seinen Namen sagen, wenn ich mir nicht Mühe gebe. Sein Vater .«
    »Wie hieß er denn?«, fragte Roberto, und während er das sagte, fand er, dass diese Frage einen tieferen Sinn hatte, einen perfekten Rhythmus, und dass sie ihn in das Herz dessen führte, was diese Nacht passierte. Sie atmete tief durch, bevor sie antwortete.
    »Gianluca. Er hieß Gianluca … Ich mochte Doppelnamen noch nie«, fügte sie hinzu, als wäre das von großer

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