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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Betracht ziehen. Jetzt haben sich die Rollen vertauscht: Sie hat einen anderen, der ebenfalls verheiratet ist. Sie macht das zwar nicht öffentlich, aber sie tut auch nichts, um es zu verbergen. Sie schwindelt, aber ohne sich zu bemühen, glaubwürdig zu sein, ohne wirklich aufzupassen, dass es keiner merkt. Ich bin mir sicher, dass mein Vater Bescheid weiß und nur so tut, als sei nichts. Weil er Angst hat, dass sie ihn verlässt, wenn er etwas sagt. Sie ist nett zu ihm, kümmert sich um ihn, und manchmal gehen sie auch zusammen aus. Aber die Machtverhältnisse haben sich verändert, und jetzt ist mein Vater der Schwächere. Das Leben kann ganz schön grausam sein.«
    Aus der Ferne schallten zwei kurze Schreie, beinahe Klagelaute, durch die Nacht.
    »Weißt du, was mich wundert?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Dass ich dir so viel erzähle … so viel Intimes. Warum vertraue ich dir so?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Roberto und zuckte die Achseln.
    »Vielleicht vertraue ich dir, weil du trotz deines Auftretens verletzlich wirkst. Als du aufs Motorrad gestiegen bist, habe ich gemerkt, dass du Angst hattest. Nimm mir bitte nicht übel, was ich dir jetzt sage: Es hat mich gerührt.«
    »Ich hatte Angst?«
    »Stimmt das etwa nicht?«
    Roberto hätte gern von sich erzählt, aber er wusste, dass er es nicht schaffen würde.
    Aber er hatte es satt, sich einsam und verzweifelt und schuldig zu fühlen.
    Schuldig.
    Man hört nie auf, sich um die eigenen Kinder Sorgen zu machen.
    Wir wollen sie vor allem schützen.
    »Das Rauschen des Brunnens geht mir auf die Nerven. Fahren wir an einen stilleren Ort?«
    Roberto klinkte sich mühsam wieder ein.
    »Ja, klar.«
    Sie setzten die Helme auf, glitten ein paar hundert Meter durch die Dunkelheit und setzten sich schließlich auf eine Bank zwischen dem Garibaldi-Denkmal und der Kanone.
    »Hast du noch eine Zigarette für mich?«
    Roberto zog das Päckchen aus der Jackentasche und reichte es ihr.
    Sie rauchten ruhig und genüsslich. Die Luft war mild, der Frühling war schon fortgeschritten. Emmas Erzählung kam überraschend.
    »Ich habe geheiratet, weil ich schwanger war. Er war Drehbuchautor.«
    Sie nannte seinen Nachnamen, als ob Roberto ihn kennen müsse. Doch Roberto hatte den Namen noch nie gehört, und falls er ihn doch gehört hatte, hatte er ihn vergessen.
    »Es war ein Fehler, und ich wusste es. Er zitierte immer einen Schriftsteller – ich weiß den Namen nicht mehr, aber das Zitat ging ungefähr so: Liebe bedeutet, dass wir den anderen mit all unserer Fantasie und all unserer Kraft erfinden, ohne der Realität auch nur einen Millimeter Platz zu machen. Wir hatten der Realität schon viele Meter eingeräumt, als wir feststellten, dass wir ein Kind erwarteten. Das Beste wäre es gewesen, das Kind zu bekommen und uns zu trennen. Was alle von uns erwarteten, war hingegen, das Kind zu behalten und weiter zusammenzuleben, ohne zu heiraten. Aber dann fragte er mich, ob ich ihn heiraten wollte, und ich sagte ja. Ohne nachzudenken. Vielleicht dachte ich sogar nach. Dachte, dass das Dinge konsolidieren würde, die sonst zu labil waren. Oder dass im Gegenteil auf diese Weise das Ende forciert würde.«
    Roberto blieb stumm. Die Worte, die ihm einfielen, erschienen ihm alle dumm und oberflächlich.
    Jedenfalls – fuhr Emma fort – heirateten sie, und das Kind kam auf die Welt und wurde Giacomo genannt. Drei Jahre später lernte sie einen anderen Mann kennen, mit dem sie eine Affäre hatte. Heimlich natürlich, aber es war unausweichlich, dass ihr Mann früher oder später davon erfuhr. Genau so geschah es auch, und er fand es ganz und gar nicht lustig. Streit, Geschrei, vorgetäuschtes Fair Play, entscheide du, wie es weitergeht, wenn du willst, gehe ich eben, sei nicht so dramatisch, allzu einfach, so was kann jedem passieren, dir auch, tut mir leid, dich zu enttäuschen, aber mir ist es nicht passiert, ich bin so dumm, mich an die Regeln zu halten, ich hasse es, wenn du dich als Moralapostel aufspielst, ha, das Wort Moral gehört offensichtlich nicht zu deinen Lieblingswörtern. Nach einigen ziemlich unangenehmen Tagen dieser Art beschloss sie, nicht alles wegen einer Bettgeschichte aufs Spiel zu setzen. Einer fröhlichen, ausgelassenen Affäre, aber eben doch einer Bettgeschichte. Sie versprach, die Beziehung zu beenden, er glaubte ihr, und nach einiger Zeit – etwa zwei Jahren – taten beide so, als sei alles wieder in Ordnung. Doch die Ordnung war offensichtlich nicht die

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