In der Brandung
Bedeutung. Vielleicht war es das auch.
»Er schrieb an einem Roman. Er war Drehbuchautor, aber sein großer Traum war es, einen Roman zu schreiben. Es ist alles in seinem Computer, denke ich. Ich habe mal versucht, ihn anzumachen, aber man braucht ein Passwort. Das war eine Erleichterung. Ich wollte gern lesen, was er geschrieben hatte, aber ich hatte auch schreckliche Angst davor. Aus verschiedenen Gründen. Natürlich hatte ich Angst, etwas über uns beide zu erfahren, was ich lieber nicht wissen wollte. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich vor allem Angst, dass sein Roman schlecht sein könnte. Die Sache mit dem Passwort hat jedenfalls dieses Problem aus der Welt geschafft. Man kann den Roman nicht lesen – das Romanfragment oder was auch immer es sein mag –, und damit ist die Sache erledigt.«
Roberto dachte, dass das nicht ganz stimmte: Ein ganz normales Passwort zu knacken, um sich Zugang zu einem Computer zu verschaffen, war nicht schwer. Aber das hätte Emma gar nicht hören wollen. Sie saßen noch eine Weile schweigend auf der Bank, während die Geräusche der Nacht die Stelle ihrer Worte einnahmen.
Nach einer Weile schien sie eine Geste machen zu wollen. Sich ihm nähern, die Hand nach ihm ausstrecken. Es schien, als sei ein Kommando vom Gehirn an einen Arm ausgesandt, dann aber doch auf halber Strecke von einem anderen Impuls blockiert worden.
»Mir fällt gerade Stairway to Heaven ein. Das war sein Lieblingslied. Wenn ich in der Zeit nach seinem Tod daran dachte, musste ich es schnell wieder verdrängen, um nicht in Tränen auszubrechen. Anfangs waren die Tränen noch schneller als ich. Doch mit der Zeit schaffte ich es, die Töne wegzuschieben, bevor ich irgendetwas fühlte. Und jetzt ist mir das Lied in den Sinn gekommen, ohne dass ich es gemerkt habe. Ich hörte es und brauchte eine Weile, bevor ich merkte, was es war. Ohne weinen zu müssen. Es macht mich ein wenig traurig, aber das ist kein Vergleich mit der Verzweiflung von früher.«
Sie sah auf die Uhr.
»Vielleicht sollten wir nach Hause gehen. Ich muss morgen arbeiten. Allerdings fange ich erst um zehn an, das ist nicht so schlimm. Was ich vermisse aus meiner Zeit als Schauspielerin, bevor Giacomo auf der Welt war, ist die Möglichkeit, morgens lange auszuschlafen.«
»Fahren wir zu deiner Garage, stellen das Motorrad ab, und dann begleite ich dich noch nach Hause«, meinte Roberto.
»Nein, ich finde es schön, dich nach Hause zu bringen.«
Roberto dachte sich, dass er das auch schön fand.
Auf dem Rückweg durch die menschenleere Stadt dachte Roberto, dass ihre beiden Lebenswege wie zwei Leuchtstreifen waren, die ungefähr an demselben Punkt losgegangen waren, dann verschiedene Welten durchquert hatten und sich jetzt auf geheimnisvolle Weise kreuzten.
»Wie deine Wohnung wohl aussieht?«
»Die spottet jeder Beschreibung.«
»Kommt dich denn nie jemand besuchen?«
»Manchmal kommen Kollegen oder Freunde vorbei. Aber ich würde nicht sagen, dass oft Gäste ins Haus kommen.«
»Keine Freundinnen oder Geliebten?«
Roberto schüttelte lächelnd den Kopf. Es war das Lächeln über eine absurde Frage, die jedoch alles andere als abwegig war. Du bist Single und gesund. Es wäre ganz normal, wenn du Frauen um dich hättest. Und doch erschien ihm die Frage unpassend, ja bizarr.
»Nein, keine Freundinnen, keine Geliebten, nichts in der Art.«
»Na gut, ich merke an deiner Antwort, dass ich lieber nicht nachhaken soll. Also dann, gute Nacht.«
»Gute Nacht. Danke«, sagte Roberto verlegen, aber sie ging noch nicht.
»Warum habe ich dir all diese Dinge erzählt?«
»Vielleicht geht es langsam vorbei.«
»Vielleicht geht es vorbei. Du hast recht. Vielleicht bin ich durchs Feuer gegangen und habe überlebt.«
Roberto sah sie an, ohne etwas zu sagen.
»Du sagst nichts?«
»Vielleicht bist du durchs Feuer gegangen und hast überlebt, das könnte schon sein. Vielleicht kann man es überleben«, sagte er schließlich.
19
Sie schlüpfte durch die halbgeschlossene Tür ins Zimmer. Sie sah noch dünner aus als das letzte Mal, aber das lag vielleicht am Halbdunkel. Irgendwo musste ein Fenster offen stehen, denn Roberto bekam eine Gänsehaut, als sie sich aufs Bett setzte. Auf jeden Fall kam der Besuch unerwartet, und ihm war nicht klar, wie sie hereingekommen war. Sie hatte nie einen Wohnungsschlüssel gehabt. Genauer betrachtet, hatte sie diese Wohnung überhaupt nie betreten, wie hatte sie dann überhaupt hergefunden? Vielleicht
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