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In der Brandung

In der Brandung

Titel: In der Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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dran. Man nimmt immer sehr wenig auf einmal und verteilt sie mit einer anderen, kleineren Bürste – sie ist schwarz und hat weiche Borsten – so lange, bis das Leder alles aufgenommen hat und die Creme auch in die Nähte gedrungen ist. Jetzt ist der Schuh bereit für die wichtigste Phase, das Polieren. Das wird mit einem weichen Tuch gemacht und ist der angenehmste Teil, denn dabei verwandelt sich der Schuh unter deinen Augen von etwas Stumpfem in etwas Glänzendes.«
    Eine schöne Erinnerung, wie die an saubere, duftende Bettwäsche: Du bist todmüde und weißt, dass du in zwei Minuten einschlafen wirst, aber in der Zwischenzeit genießt du den kurzen, wundervollen Moment, in dem du dich noch ins Bett kuschelst, das Kissen umarmst, an angenehme Dinge denkst und dich sicher und geborgen fühlst.
    Roberto dachte, dass er gern noch eine Zigarette rauchen würde. Morgen würde er aufhören, oder vielleicht auch übermorgen. Oder auch nicht. Wie dem auch sei, er wollte in Ruhe diese Zigarette rauchen, im Sitzen, und die frische Aprilnacht genießen.
    Ohne zu wissen, wie er dort hingekommen war, fand er sich plötzlich in dem kleinen Park zwischen der Via Flaminia und dem Viale Tiziano wieder. Er setzte sich im Dunkeln auf eine Bank in der Nähe des Blumenstands, der die ganze Nacht hindurch geöffnet hatte. Er zündete die Zigarette an und fing an zu sprechen.
    »Erinnerst du dich an unser Wohnzimmer? Draußen ist es noch dunkel, aber der Himmel wird schon hell. Ich sitze vollständig angezogen auf dem Sofa und warte auf meinen Vater, der noch seine Tasche packt. Der Duft seines Rasierwassers hängt in der Luft. Gleich gehen wir los, ans Meer. Es sind tolle Wellen angekündigt. Die Tür steht halb offen, und von draußen weht ein leichter Wind herein, der die Vorhänge im halbdunklen Zimmer bauscht. Ich weiß nicht, warum, aber diese vom Wind gebauschten Vorhänge treiben mir Tränen in die Augen. Dann verschwindet das Bild wieder, und an seine Stelle tritt das in der Morgensonne glitzernde Meer. Die großen Wellen sehen aus der Entfernung aus, als atme das Meer. Wir sehen sie von oben, mit unseren Surfbrettern und den Neoprenanzügen, und der Wind weht uns den Salzgeruch entgegen. Gleich sind wir am Strand und steigen ins Wasser.«
    »Hallo?«
    Dann noch einmal, ungeduldiger: »Hallo, der Herr, alles in Ordnung?«
    Roberto hob den Blick zu der Stimme empor. Das Erste, was er sah, war die Flamme, die die Mütze zierte, und darunter das Polizeiabzeichen. Noch weiter darunter das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Beamten, dessen Gesicht von zahlreichen Aknenarben gezeichnet war und die geduldige, aber auch wachsame Miene eines Mannes hatte, der die Bewohner der Nacht kennt und weiß, wie man mit ihnen umgeht. Und der gerade deshalb weiß, dass es vorkommen kann – wenn auch nicht oft –, dass man böse Überraschungen erlebt. Ein paar Meter hinter ihm stand neben dem Auto ein wesentlich jüngerer Carabiniere.
    »Danke, alles in Ordnung.«
    »Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«
    »Ja.«
    »Macht es Ihnen etwas aus, ihn mir zu zeigen?«
    »Nein, ganz und gar nicht.«
    Er holte seine Brieftasche heraus und wollte schon seinen Polizeiausweis zeigen, doch dann besann er sich eines Besseren. Er zog stattdessen seinen Führerschein heraus und gab ihn dem Polizisten.
    »Warten Sie hier.«
    »Gern, ich habe es nicht eilig«, sagte er nur. Er verspürte ein seltsames Gefühl der Erleichterung, dass er durch den Anblick dieser Carabinieri-Uniform wieder zu sich gekommen war. Er war froh, hier zu sein, überprüft zu werden, in dieser Frühlingsnacht, während er darauf wartete, dass der nächste Tag langsam anbrach. Er war hellwach, Herr der Situation. Achtsam.
    Der Beamte ging mit dem Führerschein in der Hand zum Auto und setzte sich hinein.
    Jetzt überprüfen sie meine Identität am Computer, sagte er sich. Vielleicht sagen sie mir dann, wer ich bin. Oder ich frage sie einfach. Dieser Gedanke löste eine gewisse Heiterkeit bei ihm aus. Er lachte leise bei der Vorstellung, dem Carabiniere diese Frage zu stellen. Der Mann wirkte nicht besonders humorvoll.
    Ein paar Minuten später stieg dieser wieder aus dem Auto und ging zu Roberto zurück, der sich in der Zwischenzeit noch eine Zigarette angesteckt hatte.
    »Hier ist Ihr Führerschein. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?«
    »Etwa drei Uhr?«
    »Beinahe vier. Was machen Sie in einer öffentlichen Grünanlage um diese Uhrzeit, so weit von Ihrer Wohnung entfernt? Ist Ihnen

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