In der Brandung
irgendetwas zugestoßen?«
Ob mir etwas zugestoßen ist? Klar ist mir etwas zugestoßen. Vieles ist mir zugestoßen, aber ich habe keine Lust, dir das zu erzählen.
»Nein, Herr Polizist, danke. Mir ist nichts zugestoßen. Ich konnte einfach nicht schlafen, und so habe ich einen Spaziergang gemacht und ein paar Zigaretten geraucht. Jetzt gehe ich nach Hause. Zu Fuß. Ich entspanne mich bei langen Spaziergängen.« Nachdem er kurz nachgerechnet hatte, wann die Nachtschicht einer Streife zu Ende war, fügte er hinzu: »Ihr seid noch gute zwei Stunden unterwegs bis Dienstschluss, nicht wahr?«
Er erhob sich von der Parkbank, grüßte den verblüfften Carabiniere und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Giacomo
Gestern in der Pause habe ich Davide Morandi getroffen, der mit mir in der Grundschule war und jetzt in die Parallelklasse geht, in die C, während ich in der D bin. Er ist zwar ganz nett, aber vollkommen besessen von Sex: In der fünften Klasse hat ihn die Klassenlehrerin einmal erwischt, wie er unter der Bank ein Pornoheft durchblätterte. Kurz vorher hatte er mich einen Blick hineinwerfen lassen, und ich hatte mir gedacht, dass ich noch nie etwas so Widerliches gesehen hatte.
Er fragte mich, ob ich von diesen Videos gehört hatte, die mit Handys auf den Toiletten einer Disko gedreht wurden, und sagte, man könne sich von einigen Mädchen der Schule gegen Bezahlung einen runterholen lassen oder auch mehr. Man müsse sich nur an bestimmte Jungs vom Gymnasium wenden, die das Geld kassierten und dafür die Mädchen besorgten. Er meinte, dass auch eine aus meiner Klasse darunter sei.
Ich wollte nichts mehr hören. Ich sagte, ich wisse von nichts, dass mir das wie ein Haufen Unsinn vorkomme und dass ich zurück in die Klasse müsse.
Aber den Rest des Vormittags gingen mir diese Worte nicht aus dem Kopf, und ein Verdacht entstand, den ich nicht einmal richtig zu denken wagte.
Heute versuchte ich, ein wenig herumzufragen. Die Jungs hatten keine Ahnung, wovon ich sprach, und wunderten sich – ohne es zu sagen –, dass ausgerechnet ich solche Fragen stellte.
Doch schließlich fand ich in der achten Klasse einen, der von der Sache wusste. Im Vorjahr hatten unsere Klassen gemeinsam einen Ausflug gemacht, und wir beide hatten uns ein wenig angefreundet, weil wir beide begeisterte Fantasy-Leser waren.
Dieser Junge riet mir, mich da besser nicht einzumischen. Die Sache sei von älteren Schülern angezettelt worden, echten Gangstern, die die Mädchen dazu zwängen, diese Dinge zu tun. Diese Typen erpressten sie dann mit heimlich gedrehten Pornovideos, und es seien auch Drogen dabei im Spiel. Ich solle mich also lieber raushalten.
Ich sagte, dass ich ja keine Ahnung hätte, dass die Dinge so lagen und dass ich ihm für seinen Rat danke, dass ich mich da raushalten würde, natürlich, und tschüss, ich ginge jetzt wieder in die Klasse. Ach, und er wisse nicht zufällig, wie das Mädchen aus meiner Klasse hieß, die da mitmache? Ach, angeblich sei es diese hübsche Blonde? Wie hieß sie noch einmal? Nicht etwa Ginevra? Doch, genau die. Tschüss, tschüss.
Die letzten Schulstunden waren ein Albtraum. Ginevra saß in ihrer Bank mit demselben abwesenden Gesichtsausdruck, mit dem sie in die Schule zurückgekehrt war. Ich sah sie an, und mir fielen die widerlichen Bilder aus dem Pornoheft ein, die ich vor zwei Jahren unter der Bank gesehen hatte. Und dann dachte ich, dass ich in sie verliebt war und deshalb einen Weg finden musste , ihr zu helfen.
Ich entschied schließlich, dass ich sie ansprechen würde. Vor dem Schultor würde ich sie fragen, was sie für ein Problem hatte, und würde ihr meine Hilfe anbieten, auch wenn ich natürlich keine Ahnung hatte, wie diese Hilfe aussehen konnte.
Die Schulglocke schellte zum Ende der letzten Stunde. Ich hatte meine Schultasche schon gepackt, rannte als Erster zur Tür und wartete dort, bis sie kam. Dann ging ich neben ihr den Flur entlang, wie zufällig. Sie bemerkte mich nicht, bis ich endlich den Mut fand und sie ansprach. Es war das erste Mal.
»Ginevra …«
Sie drehte sich um, ohne stehen zu bleiben, und sah mich an, als kenne sie mich nicht.
»Ginevra … ich … ich wollte dir sagen, dass … falls du Hilfe brauchst bei irgendetwas, ich meine, ich bin für dich da, du musst es mir nur sagen.«
Ich kam mir vor wie ein Idiot, während ich diese Worte sprach. Sie sah mich noch einen Augenblick an, doch in Wirklichkeit sah sie mich gar nicht, und dann ging sie
Weitere Kostenlose Bücher