In der Falle - Leino, M: In der Falle
kam der Frühling, man bildete sich nicht mehr nur ein, dass die Tage länger wurden.
»Nach dem letzten heftigen Schnee ist wieder das Eichhörnchen am Gartenzaun entlanggesprungen«, sagte Viitasalo. »Die Spuren waren so gleichmäßig, dass es aussah, als hätte der Zaun in den Schnee gebissen.«
»Weißt du’s wirklich nicht mehr?«, sagte Sari und stieß ihn in die Seite.
»Doch. Du warst die schönste Eisverkäuferin, die ich je gesehen hatte. – Und das bist du immer noch.«
»Dir ist die oberste Kugel ins offene Hemd gefallen, und dann bist du gehüpft. So …« Sari begann herumzuspringen und dabei mit beiden Händen hektisch den Bauch abzutasten.
»Rum wärmt, Rumrosineneis leider nicht«, sagte Viitasalo. »Und ich hatte auch noch ein weißes Hemd an. Ich weiß noch, wie die Leute in der Straßenbahn geguckt haben. Die dachten, ich hätte mich vollgereihert.«
Sari blieb stehen und wurde wieder ernst.
»Was ist?«, fragte Viitasalo.
»Und du hast wirklich keine andere?«
»Hab ich noch nie gehabt. Und werde ich auch nie haben. Du und Liina seid alles, was ich habe«, sagte Viitasalo. »Alles, was mir was bedeutet. Ohne euch hätte ich …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Alles andere ist mir nicht wichtig. – Wie bist du überhaupt auf so eine Idee gekommen?«
Sie sahen einander an. Viitasalo meinte, Tränen in ihren Augen zu sehen. Oder vielleicht waren es auch seine eigenen, die ihn alles durch einen wässrigen Nebel sehen ließen. Er machte den Schritt, der sie trennte, und nahm Sari in die Arme. Sie hielt sich wie in einem Krampf an ihm fest. Viitasalo spürte jetzt, wie groß seine Sehnsucht nach ihr gewesen war. Seit Sari ins Krankenhaus gekommen war, hatten sie einander nicht einmal an den Händen gehalten. So, wie er sie jetzt spürte, hätte er sie am liebsten nie mehr losgelassen.
»Entschuldigung«, flüsterte Sari.
»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich war blind«, flüsterte Viitasalo. »Ich hab einfach nicht gesehen, wie schlecht es dir ging. Wir waren beide … Wir hätten mehr aufeinander achten sollen.«
»Ich wollte nicht sterben«, flüsterte Sari. »Ich wollte nur …«
»Ich weiß.« Viitasalo strich seiner Frau über den Rücken. »Ich weiß. Alles wird sich ändern, alles wird gut«, fuhr er fort und hob Saris Kinn für einen Kuss.
Zwei Stunden später saß Viitasalo in der Küche und rechnete. Es ging ihm gut. Nachdem der Damm erst einen Riss bekommen hatte, waren die Worte geradezu aus ihnen herausgestürzt. Sie waren Hand in Hand bis zum Badestrand in Hietaniemi gegangen und hatten zum ersten Mal seit langem wieder miteinander gesprochen: über ihre Ängste, ihre Liebe und ihre Träume. Als Viitasalo andeutete, wie satt er seine Arbeit habe und dass er sich ernsthaft überlege, ob er etwas Neues anfangen solle, reagierte Sari gar nicht so, wie er befürchtet hatte. Im Gegenteil: Sein Frust über die Arbeit war ihr schon länger aufgefallen.
»Man muss tun, was einem das Herz sagt«, hatte sie gesagt.
»Der kleine Prinz«, hatte Viitasalo schmunzelnd geantwortet.
»Ja, man muss es machen wie der kleine Prinz.« Sari blieb vollkommen ernst. »Wenn wir’s jetzt nicht tun, tun wir’s nie. Dann werden wir nie was ändern.«
»Und wenn wir’s nicht schaffen?«, sagte Viitasalo, der auf das Tempo, das Sari vorlegte, nicht gefasst gewesen war. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Vielleicht hatte er nur Tagträume geträumt, für kurze Zeit bei Gedanken Halt gesucht, von denen er nur zu gut wusste, wie unrealistisch sie waren. Vielleicht hatte er sich im Innersten sogar gewünscht, dass Sari dagegen war. »Finanziell, meine ich«, hatte er hinzugefügt.
»Wir können das Haus verkaufen«, hatte Sari, ohne zu zögern, geantwortet. »Ich hatte auch genügend Zeit, mir alles Mögliche zu überlegen, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mir meine Gesundheit wichtiger ist als Geld und überhaupt alles Materielle. Schau dir doch die Welt an: Alle großen Probleme kommen von der Gier.«
»So ist es«, hatte Viitasalo gemurmelt.
»Ich finde es schön, dass wir uns genau dieselben Dinge überlegt haben.« Sari hatte Viitasalos Hand ein wenig fester gedrückt. »Wir könnten zum Beispiel aus Helsinki wegziehen, irgendwohin, wo man mit weniger Geld auskommt. Uns fällt schon was ein. Zur Not machen wir eine Eisbude auf.«
Genau da hatte Saris Sicherheit Viitasalo angesteckt. Alles konnte sich ändern. Sie konnten sich ändern. Sie konnten wirklich eine
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