In der Falle - Leino, M: In der Falle
Viitasalo.
»Wie ich schon sagte, ich bin Polizist. Nimm mal das falsche Namensschild ab«, sagte Manninen.
»Warum?«
»Wir gehen in ein Lokal, in dem man die Polizei nicht so gern sieht.«
»Und warum gehen wir dann hin?«
»Weil sie eine verdammt gute Pizza machen.«
Das schäbige Rinkeby Restaurang befand sich in einer Seitenstraße des im Namen steckenden Stadtteils. Der Abend war schon dunkler geworden, und dunkel waren auch die Leute, die sie durch die schmutzigen Scheiben draußen auf der Straße vorübergehen sahen. Viitasalo und Manninen saßen an einem Fenstertisch. Schon beim Eintreten hatte Viitasalo bemerkt, dass sie die einzigen Hellhäutigen an dem Ort waren, auch das Personal in dem Lokal war dunkelhäutig. Alle anderen Tische waren voll besetzt, aber keiner kam an ihren Tisch, um wegen der zwei überzähligen Stühle zu fragen. Viitasalo spürte die Blicke der anderen Gäste in seinem Rücken. Er war zu ordentlich angezogen, und er sah aus wie ein Bulle. Schon wieder erhob sich nach einem Wortwechsel lautes Gelächter. Wahrscheinlich lachten sie über ihn. Viitasalo fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Manninen dagegen sah aus, als fühlte er sich hier zu Hause.
»Schmeckt’s?«, fragte Manninen und nahm einen großen Schluck Bier.
»Du hast recht, das Essen ist klasse«, antwortete Viitasalo. »Bei Pizza hab ich nur nicht mit der Umgebung hier gerechnet. Ich frag mich dasselbe wie du vorhin: Wer hat hier nichts verloren?«
Manninen schmunzelte. »Neunzig Prozent der Einwohner Rinkebys haben einen Migrationshintergrund.«
»Ziemlich heftige Zahl. Gibt’s Probleme damit?«
»Hängt davon ab, aus wessen Blickwinkel man es sieht. Viele finden, es ist der Stadtteil der Möglichkeiten, ein neues Eldorado«, antwortete Manninen. »Hier kriegt man alles, man muss nur wissen, wo man danach fragt.«
»Heißt zum Beispiel?«
»Drogen, Waffen, Sklaven, kleine Mädchen und Jungen, Killer – you name it, they’ve got it«, sagte Manninen. Als er Viitasalos ungläubigen Blick sah, fuhr er fort: »Weshalb auch die Polizei neue Wege gehen muss. Wir müssen zum Beispiel nicht alles sehen, falls du verstehst, was ich meine.«
»Nicht ganz.«
»Das heißt zum Beispiel, dass du beim Pizzaessen ja nicht merken musst, dass in der anderen Ecke des Lokals somalische Jungs Kat verkaufen und sogar mit vollen Backen kauen«, sagte Manninen mit gedämpfter Stimme. »Schau aber um Himmels willen nicht hin! Darum sind die übrigens auch so gut drauf. Was ich sagen will: Unser Leitgedanke hier ist Toleranz. Keiner aus der Polizeiführung und schon gar keiner aus den besseren Stadtteilen möchte, dass die Massen hier sich in Bewegung setzen und irgendwo anders ihre Rechte einfordern. Wir halten sie an der lockeren Leine, und unsere Landsleute können nachts ruhig schlafen.«
Für Viitasalo klang, was Manninen ihm da erklärte, verdächtig nach Rassismus, und das sagte er ihm auch, aber Manninen winkte lächelnd ab.
»Ich bin kein Rassist. Ich bin Realist, und euch Finnen kann ich nur raten, rechtzeitig gegenzusteuern. Wir haben damit zu lange gewartet.«
»Gegensteuern?«
»Macht die Grenzen dicht und verschärft die Einwanderungsbestimmungen«, sagte Manninen. »Ich bin für das Modell Kalifornien«, setzte er hinzu, bevor er ging, um ihnen noch zwei Bier holen.
Wenn Viitasalo an Kalifornien dachte, kamen ihm eher Palmen und braun gebrannte Menschen in den Sinn als Einwanderungsbestimmungen. Wie auch immer, er hatte andere Sorgen. Er wollte gerade sein Handy herausholen, um Sari wenigstens eine Nachricht zu hinterlassen, als Manninen mit zwei neuen Krügen Bier zurückkam.
»Und?«
»Was meinst du mit dem Modell Kalifornien genau«, fragte Viitasalo. »Ich bin übrigens noch nie in Kalifornien gewesen oder in Amerika überhaupt.«
»In Kalifornien werden über fünfunddreißig Prozent aller Verbrechen von Einwanderern begangen«, erklärte Manninen. »Bei uns in Schweden sind es über zwanzig Prozent. Und wie viel sind es in Finnland?«
»Soweit ich weiß, um die sieben«, sagte Viitasalo und trank einen Schluck Bier. Er wusste es eigentlich gar nicht.
»Für euch besteht also noch Hoffnung, ihr müsst nur bald was tun. Wenn nicht, siehst du hier das Helsinki der Zukunft.«
Aber Viitasalo sah nicht das Helsinki der Zukunft, sondern nur den stoppelgesichtigen Manninen, der ihm gegenübersaß und an dessen Oberlippe Bierschaum klebte.
Vesa saß neben Irma, die immer wieder kurz einnickte,
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