In der Fremdenlegion (German Edition)
übrig Gebliebenes zu erbetteln. Die Menschen im Zimmer waren durch die Härten ihres eigenen Lebens so verroht, daß sie in dem armen Teufel nur einen Bajazzo sahen, der zu ihrer Belustigung da war. Sie warfen ihm ein Stück Brot in einen Zimmerwinkel und wieherten vor Vergnügen, wenn Bauer auf allen Vieren unter den Betten herumkroch, um das Brot zu ergattern, nach dem ihn hungerte. Sie gossen Petroleum in die Suppe und waren närrisch vor Freude, als der Kranke die Suppenschüssel dennoch leerte.
Von Tag zu Tag wurde Bauer gefräßiger. Aus andern Mannschaftsstuben, aus andern Kompagnien sogar kamen die Legionäre auf unser Zimmer zur Essenszeit, um sich das Wundertier anzusehen. Immer saß er zusammengekauert auf seinem Bett, blöde lächelnd, und schlang und schlang. Einen vertrockneten Knochen, den ihm ein Legionär hinhielt, benagte er mit dem gleichen Lächeln, mit dem er an einem Stück Leder kaute, das ihm ein anderer gab. Es war das Kommen des Wahnsinns.
Die Geschichte des Mannes mit dem unstillbaren Hunger unterhielt bald das ganze Regiment. Die Rohheit war ja hier zu Hause. Wer sich einen billigen Spaß machen wollte, brachte dem Gefräßigen eine Brotrinde oder ein Stück harten Legionszwiebacks, um belustigt dem Hinunterschlingen zuzusehen. Wochenlang spielten sich diese Szenen ab, ohne daß irgendein Vorgesetzter es für nötig gehalten hätte, einzugreifen.
Das Ende kam auf andere Weise. Eines Tages fanden wir auf unseren Tellern statt der Tagesration an Brot nur noch angekaute Rinden. Bauer hatte sich von der Arbeit weggeschlichen und unsere Brotrationen verzehrt. Er mußte gewürgt haben wie ein wildes Tier!
Die Legionäre fielen über ihn her – wenn ihr eigener Magen leiden mußte, hörte das Vergnügen auf. Irgend jemand schlug auf den armen Teufel ein. Da stieß er gellende Schreie aus, hieb um sich, kratzte, biß und brüllte wie besessen. Die Wache kam, und der arme Bauer wurde an Händen und Füßen gefesselt nach der infirmerie hinübergetragen. Drei Tage darauf geleitete die elfte Kompagnie einen kleinen schwarzen Karren auf den Friedhof von Sidi-bel-Abbès. In dem roh gezimmerten Sarg auf dem Karren lag der tote Legionär Bauer. Im Krankenhaus hatte er sich den Schädel an der Wand eingerannt ... Der Kapitän sagte kurz und trocken über dem Grab: »Reçevez les derniers adieux de votre chef et de vos camarades.«
Und der dicke Sergeant meiner Abteilung sagte schmunzelnd: »So was von Fressen habe ich aber doch nie gesehen!«
Das war seine Leichenrede.
Das Desertionsfieber.
Die Odyssee des auf Pump Gehens. – Tod in der Wüste. – Die Deserteure der Legion. – Eine unglückliche Flucht im Automobil. – Das tragische Geschick eines österreichischen Ingenieurs. – Im Ghetto von Sidi-bel-Abbès. – Fluchtgeschäfte. – Oran und Algier. – Das Konsulat als Mausefalle. – Deserteure mit Geld und Deserteure ohne Geld. – Der Leidensweg der 100 Kilometer. – Hamburger Schiffe. – Selbstverstümmelung. – Künstliches Fieber. – Simulierter Wahnsinn. – Im Suezkanal. – Massendesertionen. – Das Wunderland Marokko.
Auch Herr von Rader hatte den Cafard – den Desertionscafard – und verlor zusehends an Humor. Er hatte es verstanden, sich zu dekorieren – an kleiner Gaunerschlauheit maß er sich selbst mit dem ältesten, geriebensten Legionär – aber als Veteran des Landstraßenlebens hatte er ein sehr entwickeltes Gefühl für die praktische Seite der menschlichen Dinge. Zu nehmen ohne zu geben, war sein heiligstes Lebensprinzip gewesen – ein Leben ohne Arbeit bedeutete ihm den Inbegriff menschlicher Klugheit. Jetzt aber rechnete sich Herr von Rader immer wieder mit immer längerem Gesicht das Rechenexempel aus, daß er höllisch viel arbeiten mußte und überhaupt nicht bezahlt wurde.
Darunter litt er sehr!
»Bruderherz,« sagte er einmal zu mir, »Ick schieb ab! Ick will dir nich' weiter mit Einzelheiten belästigen, aber ick bedaure, dir die Mitteilung machen zu müssen, dat det verehrliche Rejiment sich demnächstens ohne mir behelfen muß. Der Herr von Rader jeht!«
Ich riet ihm ab und redete lange auf ihn ein, daß es eine fürchterliche Dummheit sei, ohne Zivilkleider und ohne Geldmittel aufs Geratewohl zu desertieren.
Herr von Rader schüttelte nur den Kopf: »Ick habe janz bedeutenden Ueberfluß an Jeldmangel, det is wahr! Aber ick besitze dafür 'ne jediejene Portion von Frechheit – massenhaft, kolossal viel Frechheit – un' ick denke mir, ick
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