In der Glut der Leidenschaft
Blick tauchte in seine braunen Augen, doch sie sah helle Augen vor sich. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Mann, der sie so sanft geküsst hatte, seiner Ehefrau die Kehle durchgeschnitten hatte.
»Wir sollen ihnen zu essen geben«, sagte neben ihr eine Stimme, und sie erhielt einen Stoß in die Seite. »Sie sollen hier keine Wurzeln schlagen.«
Michaela sah zuerst Cassandra und dann die Schlange armer Iren, Inder und Juden an. Rasch entschuldigte sie sich und verteilte weiter das Essen.
»Ich komme mir wie ein Hündchen an der Leine vor.« Cassandra deutete zur Tür, an der einer ihrer Brüder stand und jeden Mann beäugte, als wollte er seine Schwester ermorden.
»Sei froh, dass sich jemand um dich kümmert, Randi.«
»Kümmern und erdrücken ist nicht dasselbe. Und wie nennst du deinen Wachhund?«
Michaela stöhnte leise, als sie Major Winters in der Tür entdeckte. Er sah sich angewidert um. »Den nenne ich einen Speichellecker«, sagte sie leise. »Ich habe ihn jedenfalls nicht eingeladen.«
»Ich habe selbst mehrmals gesehen, wie du ihn abgewiesen hast. Entweder ist er verliebt, oder er hat wenig Verstand.«
»Er hat gar keinen.« Ob ihr Onkel ihn geschickt hatte? Nach-
dem sie beim Lauschen ertappt worden war, hatte er vielleicht Angst vor Verrat.
In diesem Moment kam Pater Pete zu ihnen und meinte, die Schlange wäre schon kürzer geworden, und er und die Schwestern könnten jetzt übernehmen. Michaela wischte sich die Hände an der Schürze ab, und die beiden Frauen traten ans Waschbecken.
Michaela sah auf die Uhr ihres Vaters. Nickolas würde zwar am Treffpunkt auf sie warten, doch es war für ihn sehr riskant, sich lange an einem Ort aufzuhalten. Der Doppelagent bedrohte sie alle. Ihr eigenes Leben war für die Rebellion unwichtig, doch Nickolas war unentbehrlich. »Ich muss kurz weg«, flüsterte sie.
Cassandra sah sie erstaunt an. »Ohne Begleitung?«
»Es muss sein, Randi.«
Cassandra nickte. »Ich kümmere mich darum. Hol deinen Mantel und schleich dich weg. Ich lenke ihn ab. Mein Bruder lässt ihn ohnehin nicht zu uns«, fügte sie hinzu. »Und achte darauf, dass ich es nicht bereue.«
»Ich bin bewaffnet«, flüsterte Michaela, nahm die schmutzige Schürze ab und warf sie zu den anderen.
»Du bist sehr tapfer«, flüsterte Cassandra neidisch.
»Oder nur unbeschreiblich dumm.« Es war höchst riskant, ohne Verkleidung durch die Straßen zu laufen.
»Soll Argyle dich abholen?«
Sie nickte. »Sag dem Major, ich müsste einkaufen.«
Cassandra sah sich um. Winters unterhielt sich mit Adam. »Eines Tages wirst du mir verraten, wieso du nicht einfach heiratest, um von allem wegzukommen. Und ich werde dir zuhören, ohne über dich zu urteilen.«
Michaela war gerührt. Ihre Freundin sprach aus Zuneigung und Sorge und nicht aus Neugierde. »Danke, Randi.«
»Sei vorsichtig. Und ich hoffe, dass er attraktiv ist.«
Michaela schüttelte verblüfft den Kopf. »Der Mann, den du triffst.«
Michaela ließ ihre Freundin in dem Glauben und holte ihren Mantel, während Randi zu ihrem Bruder ging. Dabei tat sie, als würde sie stolpern, und fiel gegen Winters. Er legte ihr sofort die Hände an die schmale Taille. Michaela wartete nicht ab, wie es weiterging, sondern schlüpfte zur Tür hinaus und lief auf die Straße. Entschlossen eilte sie zur Kirche, in der sie sich auf Nickolas' Weisung dem Priester anvertrauen sollte. Obwohl sie lieber vorsichtig gewesen wäre, hielt sie sich an seine Entscheidung. Sie hatte Pater Joseph schon bei Kleidersammlungen kennen gelernt. Er hatte auch mehrmals Lebensmittel an Briten geschickt, die von den Amerikanern gefangen gehalten wurden. Die Briten ließen diese Lieferungen durch ihre Blockade, und die Amerikaner waren großzügig genug, um sie ihren Gefangenen auszuhändigen. Michaela bezweifelte, dass dies auch umgekehrt funktioniert hätte. Es war jedenfalls die einzige Möglichkeit, um Versorgung ins Land zu schicken. Engländer, die mit den Rebellen sympathisierten, traten einen Teil der Lieferungen an die bunt zusammengewürfelte Armee ab.
Sie erreichte die Kirche ohne Zwischenfall und ging durch die Sakristei hinein. Kerzen brannten in einigen Ecken. Michaela hatte zwar schon lange keine Kirche mehr aufgesucht, doch es erschien ihr frevlerisch, das geheiligte Gebäude für ein Treffen zu missbrauchen.
Der alte Priester tauchte langsam aus der Dunkelheit auf und kam vorsichtig auf sie zu. Michaela
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