In der Hitze der Nacht
beschuldigen sollte.“ Sie schüttelte den Kopf, weil sie sich darüber wunderte, dass ihr Wade immer genau zwei Schritte voraus war.
„Dieser Mann hätte Alleinunterhalter werden sollen, so wie er die Leute auf seine Seite ziehen kann.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Diese ganze Geschichte … ist doch klar, er wollte schneller sein als ich. Damit mir nicht die geringste Möglichkeit mehr bleibt, die Wahrheit zu erzählen. Jetzt haben alle wieder ihre feste Meinung über mich, und ich bin das schwarze Schaf des Ortes – genau wie vor zwei Jahren, als Wade verhaftet wurde.“
Rick starrte auf die Kaffeetasse in seiner Hand. „Er hat also allen erzählt, dass er nach Kalifornien gefahren ist, um sich mit dir zu versöhnen?“
Sie nickte.
Ricks Handy klingelte. „Marshall.“ Rick meldete sich, nickte und sagte dann: „Gut, sehr gut.“ Dann beendete er das Gespräch. „Das war mein Partner“, erläuterte er Jessie. „Er hat Wades Bewährungshelfer erreicht. Wade muss am Donnerstag persönlich bei ihm erscheinen. Wenn nicht, wird wieder Haftantrag gestellt.“
„Glaubst du, Wade ist nach Tulouse unterwegs?“
„Wenn er wirklich so ein Lügner ist, wie du ihn beschreibst, muss er alles tun, um seine Lügen aufrechtzuerhalten. Es wäre keine gute Idee, den Termin am Donnerstag nicht wahrzunehmen.“
Jessie fühlte sich elend. Der Gedanke, nach Texas zu fahren und wieder auf Wade zu treffen, bereitete ihr Unbehagen. Doch ihr blieb nichts anderes übrig.
Grandma hatte ihr beigebracht, dass man Verantwortung für sich und seine Mitmenschen übernehmen musste. Und Jessie wollte Rick helfen, obwohl er ihr keinerlei Mitschuld an dem ganzen Schlamassel gab.
„Wir sollten mal einen Blick auf die Landkarte werfen“, sagte Rick. Jessie schaute in seine ruhigen, entschlossenen Augen und fühlte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen.
Blieb also noch ein Thema offen: Wie sollte sie mit der Tatsache umgehen, eine weitere Nacht mit Rick Marshall verbringen zu müssen?
14. KAPITEL
Nach langer Fahrt waren Rick und Jessie schließlich in Tulouse in Texas angekommen. Der Ort hatte 984 Einwohner, den sexy Rotschopf natürlich nicht mit eingerechnet. Rick wusste noch nicht ganz genau, was er hier überhaupt wollte. Die Chancen, Wade und sein Auto zu finden, standen eher schlecht. Selbst die dümmsten Verbrecher kämen nicht auf die Idee, in einem gestohlenen Auto mit auswärtigem Kennzeichen hier aufzutauchen.
Dennoch musste er alles versuchen. Gleichzeitig wurde überall nach Wade gefahndet. Mehr war zurzeit nicht möglich.
Am Ortseingang war Rick vom Gas gegangen. Nun säumten alte Backsteingebäude den Weg. Patwanee & Söhne, gegr. 1916, war da auf einem der Häuser zu lesen oder Ferguson Hardware auf einem anderen. Sie kamen an einem betagten Kino vorbei, und Rick fand, dass das alte Städtchen ganz nett aussah, bis er in eine Nebenstraße einbog.
„Du musst hier abbiegen“, hatte Jessie gesagt und nach links gezeigt. Sie fuhren zuerst an einer leer stehenden, von hohem Unkraut schon ganz überwucherten Tankstelle vorbei. Gegenüber stand ein herausgeputztes Gebäude. Es war die Bibliothek des Ortes. Überall war dieser Kontrast zu sehen: Es gab einerseits verfallene Gebäude und andererseits liebevoll sanierte Häuser. Das ließ diese Kleinstadt recht eigenartig wirken.
„Fahr den Plano Way hinunter“, sagte Jessie und deutete auf einen Weg, der die Ortsgrenze zu markieren schien, denn er führte direkt an Ackerland vorbei. Sie fuhren an grünen Feldern und einer Reihe am Straßenrand aufgestellter roter Briefkästen vorbei.
„Wohin fahren wir?“, fragte Rick.
„Ich glaube, Wade ist bei seiner Mutter. Er hat keine eigene Wohnung mehr. Sollte er nicht bei seiner Mutter sein, müssen wir woanders nach ihm suchen. Ich habe da noch so ein paar Ideen, wo er sein könnte.“ Jessie spielte nervös mit den Perlen an ihrer Tasche.
„Wir müssen ja auch nicht mit der Tür ins Haus fallen. Wir halten uns an die Regeln“, sagte er.
„Was meinst du damit?“
„Wir brauchen Wade ja nicht sofort aufzusuchen. Ich kann mich genauso gut hier erst einmal umsehen, vielleicht mein Auto finden und dann sofort aufs Polizeirevier fahren.“ Er legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel. „Ich werde mich hüten, außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs an alle Türen zu klopfen.“
Das beruhigte sie ein wenig. „Gut. Dann fahr bitte rechts diesen Kiesweg hoch. Wir können so den Ort umfahren und in einer
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