In der Hitze der Nacht
sie weitergingen. »Wie weit ist es noch ?«
Sie spähte durch das Dunkel und entdeckte ein flackerndes Licht. »Es ist gleich da oben .«
Als sie die vertraute, von Moos umhüllte Silhouette des hohen, steilen Dachgiebels sah, hätte Sable am liebsten geweint. Wie die meisten der älteren Cajuns am Atchafalaya, lebten die Martins in einem kleinen Haus, das aus heimischen Bäumen errichtet worden war, die mithilfe von Familie und Nachbarn gefällt und gespalten worden waren. Schwere Zypressenblöcke hoben das Haus einen halben Meter über den Boden, um Überflutung und Insektenbefall zu vermeiden. Außerdem wurde es so besser durchlüftet. Mit der Zeit hatte die Witterung die Balken ausgelaugt, bis sie genauso uralt aussahen wie die knotigen Bäume, die das Haus umgaben.
Eine Lampe neben einem der vorderen Fenster warf ihr goldenes Licht nach draußen auf den Steinplattenweg, der zur weiß getünchten Veranda hinaufführte. Rauch stieg aus dem Schornstein aus Lehm und Stein an der Rückseite des Hauses auf. Zwei handgeflochtene Schaukelstühle standen auf der Veranda neben der schmalen vorderen Doppeltür, und auf einem davon lag zusammengerollt eine orange getigerte Katze.
Ein kleiner, stämmiger, älterer Mann öffnete auf J.D.s Klopfen fast augenblicklich die beiden Türen und blickte mit großen Augen aus dem Spalt in der Mitte. » Qui est-il? Que voulez-vous ?«
»C’est moi, Isabel .« Sie trat ins Licht, damit er ihr Gesicht sehen konnte, und lächelte. »Wir hatten einen kleinen Unfall, grand-père. Können wir heute Nacht hierbleiben ?«
»Mais oui, komm rein, Kind .« Der Alte öffnete die Tür. »Warum seid ihr denn so nass? Seid ihr in den Fluss gefallen ?«
»So ähnlich .« Sie warf J.D. einen reumütigen Blick zu, ehe sie hinzufügte: »Das ist Jean-Delano Gamble, ein … Freund .«
Old Martin beäugte ihn misstrauisch. »Haben Sie etwa unsere Isabel in den Fluss geworfen ?«
»Nein, Sir « , sagte J.D., ohne eine Miene zu verziehen. »Ich habe sie herausgefischt .«
Der Alte lachte anerkennend, dann winkte er sie herein.
Von innen war das Haus der Martins ebenso bescheiden, mit waagerechten Barreaux- Leisten zwischen den senkrechten Stützen und schrägen Streben, die die Bousillage – eine selbst gemachte Isolierung aus Lehm und Spanischem Moos – an Ort und Stelle hielt. Kerosinlampen aus Rauchglas, auf deren Boden Fetzen bunter Lappen und Steinsalzkrümel schwammen, spendeten Licht.
Die meisten Möbel hatte Old Martin eigenhändig aus den Zypressen gebaut, die um sein Zuhause herum wuchsen, aber hier und da standen auch antike Erbstücke aus Kirschholz, die le Grand Dérangement überlebt hatten – die Reise seiner Vorfahren aus Arkadien von Nova Scotia nach Louisiana, nachdem sie 1755 von den Briten vertrieben worden waren. Ein schlichtes Gemälde dieser zielstrebigen Vorfahren hatte einen Ehrenplatz zwischen gerahmten, religiösen Bildnissen von Jesus und der Jungfrau Maria erhalten.
Martins Frau Colette kam ins Wohnzimmer und trocknete sich die Hände an ihrer Schürze ab. Im Gegensatz zu ihrem Mann war sie groß und sehr dünn, und sie trug ihr eisgraues Haar in einem ordentlich geflochtenen Kranz um den Kopf. »Isabel! Mon Dieu, was machst du denn hier so spät am Abend ?«
Sable versuchte, es ihr zu erklären, während Colette einen großen Wirbel veranstaltete und Handtücher sowie große Tassen mit heißem Tee herbeibrachte. Nachdem Colette Kleider zum Wechseln für sie geholt hatte, gab J.D. eine Kurzversion der Geschehnisse wieder. Sable fiel auf, dass er weder den Mord an Marc noch das gestohlene Auto oder die Schießerei erwähnte, wofür sie ihm sehr dankbar war. Dem alten Paar konnte man diese Geschichten ersparen, und außerdem war sie sich nicht sicher, ob J.D. ihnen immer noch so sympathisch gewesen wäre, wenn sie gewusst hätten, dass er Polizist war.
»Hier, bébé « , sagte Colette, als sie Sable einen Stapel Kleider reichte. »Geh unter die Dusche. Dann kommt dein Freund an die Reihe .« Sie warf J.D. einen prüfenden Blick zu. »Mein Mann ist nicht halb so groß wie Sie, cher, aber ich habe noch eine alte Jeans gefunden, die mein Enkel hiergelassen hat. Die müsste passen .«
Sable fühlte sich besser, als sie sauber war und das Flanellnachthemd und den Morgenrock angezogen hatte, die Colette ihr gegeben hatte, aber ihr Arm und ihre Schulter schmerzten, ebenso eine Stelle an ihrem Rücken, die sie nicht erreichen konnte. Als sie herauskam, um Colette zu
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