In der Hitze der Nacht
ansprach. »Kaffee oder Tee, gnädige Frau?«
Überrascht ruckte Tinas Kopf in Richtung der Stimme, und sie bemerkte erst jetzt, daß die junge Frau, die ihr bereits gestern ihr Zimmer gezeigt hatte, neben dem Büfett stand und offensichtlich auf eine Antwort von Tina wartete.
»Ich . . . Kaffee bitte.«
Die junge Frau nickte, nahm eine Kanne vom Büfett und goß die schwarze Flüssigkeit in eine altertümlich geschwungene Tasse, die sie an den Tisch brachte.
Der Tisch war groß, er hätte mindestens acht Personen bequem Platz geboten, und die Stühle, die ihn umgaben, waren mit einem Stoff bezogen, der etwas ebenso Altertümliches hatte wie die Tasse.
Da offensichtlich festgelegt war, wo sie sitzen sollte – der Platz war bereits gedeckt, und die junge Hausangestellte hatte ihre Tasse mit dem Kaffee ebenfalls dorthin gestellt –, setzte Tina sich zögernd genau dort an den Tisch.
»Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?« Die junge Frau, die ihr den Kaffee serviert hatte, schaute sie fragend an.
»Ich . . .« Tina räusperte sich. »Ich habe keinen Hunger, danke.«
»Aber Kind.« Ihre Großmutter warf einen tadelnden Blick auf sie. »Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Du mußt etwas essen.« Sie richtete ihre Augen auf die Angestellte. »Bringen Sie meiner Enkelin dasselbe wie mir, Afra.«
Afra nickte kurz und ging zum Büfett zurück.
Während Afra begann, die Speisen auf zwei Teller zu verteilen, legte Tinas Großmutter vor sich auf dem Tisch die Hände ineinander und schaute sie lächelnd an. »Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue, daß du da bist. Und ich möchte, daß du dich hier wohlfühlst. Also wenn du irgendeinen Wunsch hast . . .«
Tina verzog leicht verlegen das Gesicht. »Danke, aber . . . das hier ist so überwältigend für mich. Ich glaube nicht, daß das irgendwelche Wünsche offenläßt.«
»Denkst du?« Ihre Großmutter lachte leicht. »Da war deine Mutter anderer Meinung.« Sie betrachtete Tinas Züge erneut. »Du siehst ihr so ähnlich. Und doch bist du fast das Gegenteil von ihr. Soweit ich das beurteilen kann zumindest. Wir kennen uns ja noch nicht lange.«
»Nein, nicht lange.« Tinas Stimme klang leise, während sie versuchte, dem Blick ihrer Großmutter auszuweichen. Sie hatte sich noch immer nicht an ihre Verwandtschaft gewöhnt.
»Gestern abend haben wir uns ja gar nicht mehr gesehen«, fuhr ihre Großmutter in leichtem Ton fort. »Du bist wohl sehr spät gekommen?«
»Ja.« Tina räusperte sich. »Ja, ziemlich spät. Ich bin noch am See spazierengegangen.«
Ihre Großmutter nickte, während Afra nun die Teller vor sie hinstellte. »Es muß eine große Umstellung für dich sein. Aber nun iß erst einmal. Ich hoffe, meine Zusammenstellung trifft deinen Geschmack.« Sie lächelte Tina erneut auffordernd an.
Erst jetzt blickte Tina auf den Teller vor sich. Es war nicht viel, was sich da hübsch arrangiert anbot, ein kleines Omelette, etwas Kaviar und einige weitere ausgesuchte Zutaten.
»Ich bin alt, ich esse nicht mehr viel«, sagte ihre Großmutter in diesem Augenblick. »Aber du kannst gern mehr von allem haben, wenn du möchtest. Junge Menschen brauchen Kraft.« Ihr Blick haftete erneut auf Tina, und Tina konnte nicht sagen, was er enthielt.
»Oh . . . ich . . . wie ich schon sagte, ich habe keinen Hunger. Nicht viel jedenfalls . . . morgens.« Tina kam sich wie ein Kind vor, weil sie so stotterte. Ihre Großmutter vermittelte ihr einfach diesen Eindruck, sehr jung zu sein.
Elegant nahm ihre Großmutter ihre Gabel auf und begann sehr langsam und in winzigen Happen zu essen. »Hat Dagmar – Hat deine Mutter dir etwas über das Leben hier erzählt? Als sie noch in diesem Haus gewohnt hat?« fragte sie wie es schien betont desinteressiert.
Tina schüttelte leicht den Kopf. »Nein, gar nicht.« Auch sie versuchte das Omelette, und es schmeckte köstlich. Sie fühlte, wie ihr Magen nach mehr verlangte, obwohl ihr eigentlich gar nicht nach essen war.
»Überhaupt nichts?« Ihre Großmutter warf einen zweifelnden Blick auf sie.
»Nein.« Erneut schüttelte Tina den Kopf. »Ich . . . ich wußte noch nicht einmal, daß . . . daß da jemand ist. Hier, meine ich.« Sie versuchte sich innerlich zu sammeln. So konnte das nicht weitergehen, diese Stammelei. Was sollte ihre Großmutter denn von ihr denken?
Ihre Großmutter runzelte die Stirn. »Sie hätte das nicht tun sollen.« Ihre Gabel blieb auf dem Teller liegen,
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