In der Hitze der Stadt
Stolz der Universität, ein beeindruckender Bau für Systembiologie. Das freute viele ausländische Wissenschaftler, die dort Forschung betreiben würden dürfen. Es freute auch ein paar der Söhne und Töchter gewisser alteingesessener Basler Familien. Die würden dort gut bezahlte Beamtenstellen besetzen können.
In diese Gegend ließ sich Erin Azoglu in einem Taxi fahren.
Der portugiesische Taxifahrer – wohl ein weiteres Opfer der Hitze – hatte den Vater von Emine zuerst fälschlicherweise an die Bäumleingasse gefahren. Er hatte bei der Adressangabe des Türken nur das Wort Gericht wahrgenommen und war direkt ans Zivilgericht in der Innenstadt gefahren.
Irgendwann bemerkte Azoglu, dass sie in falscher Richtung unterwegs waren, und zeigte dem Fahrer den Zettel, den er mit sich führte. Darauf stand: »Gerichts medizinisch Institut.«
Der Fahrer brummte. »Das du sagen müssen mir sofort. Ich nicht fahren Kacke für dich.«
Als sie an der Pestalozzistraße ankamen, zahlte Azoglu und stieg aus. Er blickte zum imposanten Institut für Gerichtsmedizin der Universität Basel hoch.
Das Gebäude lag schön gekühlt und entsprechend Strom fressend in der späten Mittagssonne. Auf dem Dach brummten drei riesige Klimaanlagen. Sie waren nötig, um die altehrwürdige Institution und all ihre modernen Anbauten mit der notwendigen Kühle zu versorgen. Allein ein Aggregat war nur für die Kühlung verschiedener, etwa 2 Meter 30 langen Schiebefächer in Betrieb. Darin lagen die unbelebten Untersuchungsgegenstände. Denen war nicht mehr heiß. Sie froren auch nicht.
Die Stromaggregate auf dem Dach liefen jetzt am Nachmittag, wo die Sonne am erbarmungslosesten auf das Gebäude schien, unter Volllast. Schwaden von heißer Luft stiegen zitternd auf. Das Haus mit seinem Anbau aus Glas erschien wie ein schlafendes Insekt im tropischen Urwald, von dessen Rücken Feuchtigkeit verdampfte und pulsierend aufstieg.
Vor dem Eingang wartete bereits Erin Azoglus Bruder. Der Geschäftsmann wollte ihn zu dieser Besprechung begleiten. Zusammen gingen sie zu Dr. med. Regazzonis Büro im zweiten Stock.
Der Bruder von Erin Azoglu klopfte an die Tür. Er hörte dumpf, wie sie hereingebeten wurden. Sie traten ein.
Regazzoni empfing die beiden in einem Businessanzug, über den er offen einen langen Medizinerkittel trug. Das war seine normale Arbeitskleidung, wenn er nicht gerade mit seinen medizinischen Instrumenten hantierte, von denen die wenigstens niedlich, die meisten aber furchterregend waren. Der Anzug war die allerneueste Mode. Regazzoni hatte ihn gekauft, weil er kürzlich einen anderen, sehr guten, bei einer typischen Baumer-Aktion zerschlissen hatte. Er wollte lieber nicht mehr dran denken, wie das geschehen war.
Regazzoni war von seinem Schreibtisch aufgestanden. Der Mann im Businessanzug war ihm näher, offerierte ihm die Hand. Regazzoni sagte: »Guten Tag. Sie sind der Onkel von Mina?«
»Ja, mein Name ist Mustafa Azoglu.«
»Der einzige Bruder?«
»Ja, wir sind nur zwei Brüder in der Familie. Ich bin der Erstgeborene.«
»Dann sind Sie also der Vater von Mina?«, richtete sich Regazzoni an den jüngeren der beiden. »Danke, dass Sie gleich kommen konnten.«
Der Türke sagte: »Man sagt Emine. Emine ist richtig Name.«
»Ah? Nun ja, setzen wir uns doch erst einmal.« Er zeigte einladend zu einem runden Tisch, der in einer Ecke stand. Dort standen Kaffee und Gebäck bereit. Sie schauten sich kurz verwundert an.
»Möchten Sie Kaffee?«
»Nein, danke«, lehnten beide Türken das erstaunliche Angebot ab.
Regazzoni, scheinbar ungerührt, goss sich selbst einen Kaffee ein. Dann hob er einen kleinen Teller hoch, der mit Crèmeschnitten belegt war. »Aber die hier müssen Sie probieren.«
»Nein«, wehrte Erin Azoglu, der Mann, der verdächtigt wurde, seine Tochter umgebracht zu haben, ab.
»Aber nicht doch. Die müssen Sie ganz einfach probieren. Das ist der ganze Stolz einer unserer Doktorandinnen.«
»Nein, ich möchte nicht.«
»Sie müssen mir einfach den Gefallen tun. Diese Crèmeschnitten sind ein Traum.«
»Nein, ich kann nicht Crèmeschnitten.«
Regazzoni ließ sich nicht beirren. »Das ganze Institut reißt sich immer darum, ein Stück zu ergattern. Sie müssen sie einfach probieren.«
»Ich kann nicht.«
»Und Sie?«, hob der Mediziner dem Businessmann die Teilchen unter die Nase. »Sie werden mich doch wohl nicht enttäuschen?«
Mustafa Azoglu zwang sich, ein Stückchen zu nehmen, damit der
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