In der Hitze der Stadt
Wiedersehen.
Doch so einfach kam der Türke nicht davon. Als er saß, schob sich Baumer nahe zu ihm hin, wartete einen Moment, bis ihm Azoglu seine volle Aufmerksamkeit schenkte, sagte dann mit erhobener Stimme: »Herr Azoglu. Wir haben den dringenden Verdacht, dass Sie an der Ermordung Ihrer Tochter beteiligt sind.«
Erin Azoglu zuckte nur kurz zusammen, fasste sich erstaunlich schnell. Er erwiderte nichts.
Baumer warf dem Türken daher seine Untersuchungsergebnisse an den Kopf. »Wir haben die Aussagen der Menschen gesammelt, die als Erste am Tatort waren. Mein Kollege Lachenmeier hat sie ausgewertet.« Er machte eine Kunstpause, schaute, ob der Beschuldigte irgendwelche Zeichen der Beunruhigung erkennen ließe. Doch erneut keine Reaktion des Türken. Es brauchte offenbar schwereres Geschütz, um ihn zu zwingen, mit der Wahrheit herauszurücken. Also fuhr der Kommissar mit einer glatten Lüge fort. Er sagte: »Verschiedene Zeugen sagen aus, dass sie einen Türken Ihrer Statur am Tatort gesehen haben. Er soll den Ort dann eilig verlassen haben.«
Erneut ein Schuss ins Leere. Azoglu reagierte auch auf dieses Märchen von Baumer nicht. War Erin Azoglu doch nicht der Täter und sah daher auch keinerlei Gefahr im Anmarsch?
Weitermachen, dachte Baumer, den Kerl dominieren, ihn zwingen, den Mord zuzugeben. Mit dumpfer Stimme sagte er: »Der beschriebene Mann gleicht Ihnen offenbar stark.« Er starrte auf den Türken.
Azoglu war immer noch ruhig, schüttelte nur sachte den Kopf.
Regazzoni packte seinen Kugelschreiber, drehte ihn wild in seiner Hand. Baumer jedoch blieb gelassen, er war sich seiner Sache weiterhin sicher. Weil sein Verdächtiger aber immer noch keinerlei nennenswerte Reaktion zeigte, verdoppelte Baumer seinen hochriskanten Einsatz mit einer weiteren Lüge. »Azoglu. Die Zeugen haben gesehen, dass der Mann, der flüchtete, Handschuhe trug.«
Azoglus Mundwinkel zogen ganz fein nach oben. Was ging ihn das an, sagte seine Mimik. Erneut schüttelte er seinen Kopf sehr langsam.
»Ein Türke mit Handschuhen im Hochsommer. Das fällt auf, Azoglu.« Baumer schob sein Gesicht näher an das des Türken. »Wo hast du die Handschuhe hingetan, Azoglu?«
Jetzt richtete sich der Angesprochene auf, sagte selbstbewusst. »Ich war nicht.«
Regazzoni und Baumer waren perplex. Der Mann vor ihnen war – das glaubten sie felsenfest – ein Mörder, aber er behielt absolut die Ruhe. Er rettete sich nicht in wilde Ausreden, erfand keine obskuren Ausflüchte, die ihn unweigerlich umschlungen hätten, wie fauliger Seetang sich um die müden Beine eines erschöpften Schwimmers schlingt. Baumer hatte naiverweise sogar erwartet, dass der Türke, mit Zeugenbeobachtungen konfrontiert, sagen würde: »Ja, ich war. Ich habe es getan. Sie finden die Handschuhe in …«
Aber nichts dergleichen war geschehen. Der Verdächtige wiederholte seine Aussage noch einmal und er tat es in aller Ruhe: »Ich war nicht.«
Andi Baumer ließ trotzdem nicht locker. Schon viele Verbrecher hatten zuerst eine harte Schale gezeigt. Wenn man die Gauner aber mit einer so schlimmen Tat und all dem Leid konfrontierte, das sie nach sich zog, wurde früher oder später jeder harte Kerl noch weich. Der Kommissar hielt dem Türken daher die Tat vor: »Mina war so ein schönes Kind, und erst 12 Jahre alt.«
Nichts.
Baumer versuchte es auf die harte Tour, pfurrte den Türken an: »Leugnen ist zwecklos, Azoglu. Sie wurden erkannt. Geben Sie es doch einfach zu.«
»Ich sage: Ich war nicht«, verneinte der türkische Hauswart und legte seinen linken Unterarm auf den Tisch vor sich. Er tat dies bewusst langsam, betont unaufgeregt. Er wollte zeigen, dass er die Ruhe selbst war.
»Haben Sie ein Alibi für die Tatzeit?«
»Ich war zu Hause, als passierte.«
»Ja, tatsächlich, Azoglu. Man hat Sie ja vom Spital aus zu Hause erreicht. Aber das war nach der Tat. Ich wette eine Million Franken, dass niemand bestätigen kann, dass Sie an diesem Morgen zur exakten Tatzeit zu Hause waren, richtig?«
Azoglu antwortete nicht, behielt seine entspannte Haltung bei.
»Sie haben also kein nachprüfbares Alibi«, resümierte Baumer und zog einen Mundwinkel verächtlich nach oben. Den Bad Guy spielen machte Spaß, stellte er erstaunt fest. Das erregte und irritierte ihn zugleich.
Der Türke sagte zu Baumer: »Ich brauche nicht ein Alibi. Man wird Mörder finden. Ich habe Emine nicht getötet.« Er drehte seinen Kopf in Zeitlupe, schaute den Gerichtsmediziner an. Während
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