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In der Hitze der Stadt

In der Hitze der Stadt

Titel: In der Hitze der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Aeschbacher
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würde er immerhin mehr über Mina und ihr elend kurzes Leben erfahren.
    Das Gundeldingerschulhaus war über hundert Jahre alt. Es war aus stabilem Sandstein gemauert, der das Parterre in rötlichem Ton erstrahlen ließ. Die Fassade der beiden oberen Stockwerke war weiß gekalkt. Naturbelassene Steine in den Eckpfeilern des Baukörpers markierten das Volumen des Gebäudes und ließen es wuchtig und zugleich leicht erscheinen. Massive, aber harmonisch gegliederte Steinsimse und beeindruckende Bögen zierten die fünf hoheitsvollen Fenster an der Front im ersten Stock. Sie gaben dem Gebäude eine kraftvolle Aura und gleichzeitig einen transparenten Charme. Das ganze Gebäude sagte, dass die Basler Stadtväter hier eine Stätte schaffen wollten, in der mit starker Hand und gütigem Herzen erzogen wird.
    Der Blickjournalist ging an den Fahrradständern vorbei hin zum Eingangstor. An diesem schulfreien Nachmittag hing nur ein einziges kaputtes Velo mit verrosteter Kette und platten Reifen an einem Haken.
    Der Pausenplatz war leer, doch beim Tischtennis-Tisch sah er drei Jungen. Sie saßen auf dem Tisch und rauchten. Einer drehte grad seinen Kopf und spuckte auf den Boden. Bekleidet waren die etwa 15-Jährigen mit Baggy-Pants, die ihre Figur verschwimmen ließen. Auch jetzt in der Bruthitze trugen sie übergroße Jeansjacken. Die Ärmel hatten sie immerhin bis über die Ellenbogen aufgekrempelt, unter den offenen Jacken waren sie unbekleidet. Beim Typen, der auf den Boden gespuckt hatte, sah man eine winzige, fast hautfarbene Brustwarze auf schmächtiger Brust.
    Die übergroßen Kleider bildeten wohl die Sommeruniform ihrer Gang, vermutete Danner. Zwar mussten die Jungs in diesen Klamotten wie blöde schwitzen, aber die Schlabberuniform brach jegliche Kontur ihrer erwachenden Körper. Das war auch der Sinn dahinter. Es waren pubertierende Jungs, die sich für ihre Körper schämten, die sich so schnell entwickelt, so irritierend neue Formen angenommen hatten.
    Dass die Jungs pubertierten, demonstrierten sie, als der Blick-Mensch zu ihnen trat. Kaum hatte einer der Jungen ihn entdeckt, sprang er vom Tisch und vor ihn hin und führte einen richtigen Tanz auf. Er spreizte großartig zur Seite aus, warf beide Arme weit von sich, Zeige- und Mittelfinger ausgestreckt, und rief: » Yo, yo !« Er hielt die Position einen kurzen Moment inne, verlagerte dann sprunghaft sein Gewicht von einer Seite auf die andere, riss zugleich beide Arme überkreuzend vor sich zusammen, warf sie ebenso rasch wieder zur Seite, wippte mit dem Kopf. »Geil, Mann!« Er zeigte auf Danners Gesicht.
    »Ah ja«, verstand der Journalist. Er nahm seine Brille ab, schaute sie kurz an. Er lachte. »So eine möchtest du wohl auch?«
    Eine Explosion von Gelächter hüllte ihn ein. Die anderen beiden Jungs sprangen hinzu, packten ihren Kollegen, den durchaus begabten Tänzer, von hinten. Das Gelächter schüttelte die drei richtiggehend. Sie konnten sich nicht mehr einkriegen. Einem kamen vor Lachen die Tränen. »Fuck, Alter, fuck«, konnte er nur noch stammeln. Der Dritte zeigte nur auf Danner, drückte sich mit der anderen Hand den Mund zu. Laut prustend beugte er sich vor und zurück und wieder vor.
    Als sie sich endlich beruhigt hatten, sagte Danner rasch: »Ich bin Journalist. Habt ihr einen Moment Zeit?«
    »Journalist?«, fragte der Tänzer leicht misstrauisch. »Was willst du?«
    »Ich suche Nino.«
    Der Tänzer behielt sein Lächeln im Gesicht, er schaute Danner sogar noch ein wenig überlegener an. Die beiden anderen waren erstaunt, dass der Zeitungsmensch etwas von ihrem Anführer wollte. Sie blickten interessiert zu ihrem Chef.
    Danner hatte begriffen. »Du bist Nino«, sagte er zum Tänzer.
    »Warum willst du das wissen? Bissu schwul?« Er streckte lüstern die Zunge heraus, fuhr mit ihr langsam die Lippen entlang.
    Schöne Zunge, wollte Danner sagen, aber hielt gerade noch inne. Hier musste er ganz vorsichtig vorgehen. Er ignorierte daher die provokante Frage. Sowieso, dieser Nino war noch grün hinter den Ohren, spielte den Macker, ohne überhaupt zu begreifen, was er wirklich tat.
    »Kennst du Mina?«, fragte ihn Danner.
    »Mina? Geile Stute.« Er blickte traumverloren, lächelte.
    Seine beiden Sidekicks lachten hämisch. Einer zeigte seine obere Zahnreihe, in der ein Eckzahn fehlte. Er sah leicht dämlich aus.
    Danner wandte sich an Nino. »Du weißt noch nichts?«
    »Ich schnall tutto«, versuchte Nino sich cool zu geben. Es gelang nicht ganz

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