In der Hitze der Stadt
mischte sich in seine Gedanken. »Kommissar Baumer, jeder kann machen, was er will hier. Das ist doch nicht fundamentalistisch, wenn einer kein Schweinezeugs isst. Das machen 95 Prozent der Muslime nicht. Sind die alle Mörder?«
»Nein, sind sie nicht«, gab Baumer zu.
»Dieser Crèmeschnittenmist ist idiotisch. Haben Sie einen Hitzschlag gehabt, als Sie sich das ausgedacht haben?«
»Natürlich war das idiotisch. Wir wollten nur sehen, wie er reagiert. Nimmt er es vielleicht höflich an und wirft es nachher in den Mistkübel? Isst er gar ein Stück oder beharrt er auf seinen Regeln, selbst wenn er dadurch unhöflich wird?«
»Und wenn schon. Jeder Fremde, der will, hat hier in Basel das Recht unhöflich und frech gegenüber den Einheimischen zu sein. Kommen Sie zur Sache, Baumer. Haben Sie irgendeinen Beweis? Einen echten Beweis? Einen verdammt unwiderlegbaren Beweis?«, wurde Schneider laut, er hielt die Hitze im Raum nicht mehr aus, ging zum Fenster, öffnete es. Ein Schwall hitzeschwangerer Luft, vermischt mit Autoabgasen, schlug ihm entgegen und verschlug ihm den Atem. Rasch schloss er das hohe Fenster wieder. Während er sich umdrehte, zupfte er an seinem Hemd, das sich schmatzend von seinem Körper löste. Schweiß troff ihm über die Stirn.
Baumer zählte seine weiteren Fakten – waren es Fakten? – auf. »Azoglu wusste bereits, dass sein Kind tot war, als er in den Notfall kam. Beim Anblick seines Kindes im Gerichtsmedizinischen Institut bleibt er völlig kalt, zeigte keinerlei Reaktion. Ich hatte gehofft, dass er sich dort seiner schrecklichen Tat endlich bewusst wird und er den Mord zugibt. Tat er aber nicht.«
»Weil ich nicht war«, höhnte Azoglu und schnalzte verächtlich mit der Zunge.
»Nein, Azoglu, mein Freund«, antwortete Baumer. »Nicht, weil du nicht warst, sondern, weil niemand auf der Straße war, als du Emine erstochen hast. Die Straße war leer, nicht wahr, Azoglu?«
Azoglu sagte nichts, schaute nur zynisch.
Heinzmann schüttelte missmutig den Kopf. Verdammt, dieser türkische Hauswart war ein felsenharter Brocken. Der würde den Mord nie zugeben. Vielleicht, weil er es gar nicht war? Er drehte sich zu seinem Freund. »Nützt alles nichts, Andi«, murmelte er. »Wir haben keinen Beweis.«
»Er war’s, Stefan«, rief Baumer verzweifelt.
Der Basler Wachtmeister griff sich an den Nacken. Er schob den Unterkiefer nach vorne und die unteren Schneidezähne über seine Oberlippe. Er schwieg.
Schneider wurde wieder förmlich. »Ohne nachprüfbare Beweise geht gar nichts. Und Sie haben nur wilde Vermutungen. Erin Azoglu kann bislang durch keinen Fakt mit der Tat in Verbindung gebracht werden.«
Der Chef der Kriminalpolizei erhob sich. Er schaute auf seinen Kriminalkommissar hinunter, der seine Augenbrauen zusammengezogen hatte und unwirklich blickte. »Haben Sie noch etwas hinzuzufügen, Herr Baumer?« Er redete ihn schon nicht mehr mit Kommissar an.
Andreas Baumer saß da, konnte nicht einmal mehr den Kopf bewegen.
Der junge Chef der Kriminalpolizei des Kantons Basel-Stadt blickte auf den Mann, der wie ein abgebranntes Lagerfeuer erschien. Ein abgebranntes Lagerfeuer, in das noch ein Gewitterregen gefahren war. Er reckte die Brust, nahm eine steife Haltung an. »Herr Baumer. Ich hatte Sie bereits verwarnt. Und mit dieser fingierten Gegenüberstellung ist das Maß voll. Deshalb bestimme ich hiermit – kraft meiner Funktion als Kommandant der Kriminalpolizei Basel-Stadt – dass Sie mit sofortiger Wirkung …«
Die Tür ging auf und Dr. Regazzoni stürzte mit hochrotem Kopf ins Zimmer. »Ich, ich …« Er schnappte nach Luft. »Ich weiß … wer der Mörder ist!«
15
Rolf Danner stand auf dem Gehsteig vor dem größten Schulhaus im Gundeldingerquartier. Er blickte durch die hohen, das Areal eingrenzenden, schmiedeeisernen Gitter hin zu dem majestätischen Gebäude. Hier wurden junge Basler in den klassischen Schulfächern ausgebildet, also Sprachen, Mathematik, Biologie, Geographie, Musik und Kunst. Hier war Mina zur Schule gegangen. Danner hoffte, hier auch den Schmalspurcasanova der Schule, diesen berühmten Nino, zu treffen.
Der Zürcher Journalist hatte nach dem Flop im Gerichtsmedizinischen Institut keine neue Idee und keinen weiteren Verdacht gehabt, wer der Täter sein könnte. Warum also nicht mal diesen Jungen begutachten, hatte er sich gesagt. Auch wenn ein Gespräch mit diesem Herzensbrecher höchstwahrscheinlich nichts für die Suche nach dem Mörder brächte,
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