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In der Kälte der Nacht

In der Kälte der Nacht

Titel: In der Kälte der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Untat weder zulassen noch decken würde. Rya mußte wohl die Fantasie durchgegangen sein. Und die Art und Weise, wie sie ihn, ihren Vater, dadurch in Verlegenheit brachte, machte ihn traurig. Sie gingen ins Haus. Im Flur stand der Käfig mit dem Eichhörnchen. Das Tier knabberte an einem Apfel. »Mark hat mir gesagt, er mag Äpfel«, sagte Emma. »Das stimmt«, sagte Paul, um etwas zu sagen. Die Küche war sauber und aufgeräumt, mit Ausnahme des Geschirrs, das noch auf dem Tisch stand. Keine Spuren eines Kampfes. Kein Blut. Das Radio spielte. Tausend Geigen. Die Instrumentalfassung eines Schlagers. Die Zeitung lag aufgefaltet auf dem Küchentisch. Es gab zwei leere Gläser, in denen ein Rest von Orangensaft zu erkennen war. Der Kaffee in einer der beiden Tassen war noch so heiß, daß er dampfte. Angenommen, Emma war
    dabeigewesen, als ihr Mann den Jungen umbrachte. Hätte sie sich dann in aller Ruhe zum Frühstück hingesetzt. Mord, dann Kaffee und Morgenzeitung? Unwahrscheinlich. Unmöglich. Kein Blut, nirgendwo, nicht die geringste Spur von Blut. »Sie sind sicher gekommen, um das Eichhörnchen abzuholen«, sagte Emma. Sie sprach freundlich, aber Paul wußte, daß sie befremdet war. »Nein«, sagte er, »das ist nicht der Grund. Ich schäme mich, den wirklichen Grund zu sagen. Aber was das Eichhörnchen angeht, wo wir schon da sind, werden wir's mitnehmen.«
    »Sie haben das Blut aufgewischt«, sagte Rya. »Rya, ich will jetzt nichts mehr davon...«
    »Sie haben alles aufgewischt«, schrie sie. Er drohte ihr mit dem Finger. »Du hast mir heute schon genug Ärger bereitet. Jetzt sei still. Wir reden später.«
    »Sie haben das Blut aufgewischt und die Leiche verborgen!«
    »Welche Leiche?« sagte Emma erschreckt. »Das ist ein bedauerliches Mißverständnis«, sagte Paul. »Das Mädchen glaubt...« Rya drängte sich vor ihn. »Ihr Mann hat meinen Bruder umgebracht, jetzt tun Sie doch nicht so, als ob Sie's nicht gesehen hätten. Sie standen dort, wo Sie jetzt stehen, und haben zugesehen, wie Ihr Mann Mark gegen die Wand geschleudert hat. Sie waren nackt, und...«
    »Rya!« herrschte er sie an. »Es ist wahr!«
    »Ich habe gesagt, du sollst den Mund halten!«
    »Sie war nackt, und sie hat...« Er hatte noch nie die Hand gegen seine Tochter erhoben. Jetzt hatte er Lust dazu. Er hatte sie gepackt, aber sie machte sich von ihm los, schoß an Emma vorbei und rannte aus der Küche. Er hörte ihre Schritte auf dem Kies. Er lief ihr nach. Als er den Vorgarten erreicht hatte, war sie bereits
    hinter den Büschen verschwunden. Er trat auf die Straße. Nichts zu sehen. Er warf einen Blick in den Wagen. Nichts. Sie muß wohl zur Union Road. Er sah sie rennen. Er rief ihr nach, sie antwortete ihm nicht. Er rannte schneller. Er sah, wie sie in eine Lücke zwischen zwei Häusern schlüpfte. Im Garten hinter den Häusern war niemand. Vorne auch nicht. »Rya! Rya!« Keine Antwort. Vielleicht war sie schon so weit weg, daß sie ihn nicht mehr hören konnte. Vielleicht verbarg sie sich im Haus. Schweigen und das Schlürfen der Leute auf dem Asphalt. Er war nicht mehr wütend auf sie. Er war nur noch traurig. Was war in das Mädchen gefahren? Warum hatte sie sich so eine grausige Geschichte ausgedacht? Wie war es zu erklären, daß sie ihre Story mit soviel Überzeugungskraft, mit echter Verzweiflung vorbrachte? Rya war keine Lügnerin. Sie war nicht einmal eine gute Schauspielerin. Beunruhigend auch, daß sie selbst dann noch an ihrer Lüge festhielt, als sie entlarvt war. Glaubte sie etwa wirklich an das, was sie da sagte? Wenn, dann war das Kind geisteskrank. Rya geisteskrank. Rya war ein Fels von einem Mädchen. Vor einer Stunde noch hätte er geschworen, daß sie das vernünftigste Mädchen auf der Welt war. Durchlebte sie vielleicht eine Krise? Eine zeitweilige Trübung ihrer geistigen Fähigkeiten? Benommen und voller Sorgen ging er den Weg zurück, um sich bei Emma Thorp für seine Tochter zu entschuldigen.

2. Kapite l
    10.15 Uhr
    Jeremy Thorp stand in Habachthaltung in der Mitte der Küche . »Hast du verstanden, was ich dir erklärt habe?« fragte Salsbury. »Ja.«
    »Du weißt, was du zu tun hast.«
    »Ja.«
    »Noch irgendwelche Fragen?«
    »Ja. Was tue ich, wenn keiner kommt?«
    »Sie werden kommen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Du hast doch eine Uhr, oder?« Der Junge zeigte ihm seine Armbanduhr. »Du wartest zwanzig Minuten, von jetzt ab gerechnet. Wenn sie dann immer noch nicht gekommen sind, läufst du zurück, hierher.

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