In der Kälte der Nacht
Haus wir hier durchstöbern.«
»Wenn du meinst, mir macht es Spaß, ein fremdes Haus zu durchsuchen, irrst du dich.«
»Ich habe ein verdammt unangenehmes Gefühl bei der Sache.«
»Wir sind gleich fertig. Komm.« Sie gingen die Stufen hinab. Es gab einen Korridor und Türen. Der erste Raum war eine kleine Werkstatt, die sich Bob Thorp eingerichtet hatte. Seine Frau schien den Raum zugleich als Waschküche zu benutzen. Es gab eine Waschmaschine mit Trockenautomatik. In einem Korb lag ein Stapel mit frischgeplätteten Handtüchern. Es gab ein Regal, auf dem Flaschen mit Bleichmittel, Fleckenentferner und Packungen mit Waschpulver standen. Die Werkbank stand an der gegenüberliegenden Wand. Anglerutensilien lagen herum. Bob Thorp gehörte zu den Anglern, die sich eigene Schwimmer basteln. Mit der Zeit hatte er aus seinem Hobby eine Nebenerwerbsquelle gemacht. Er verkaufte die Schwimmer an andere Angler. Sam öffnete die Wandschränke. Nichts. Keine Leiche. Kein Blut. Nichts. Pauls Magen schlug Purzelbäume. Ihm kam es vor, als hätte er ein Glas Salzsäure getrunken. Paul öffnete die Schubfächer unter der Werkbank. Nichts. Der zweite Kellerraum war halb so groß wie der erste. Die Wände waren mit Regalen bestellt, und die Regale standen voller Einmachgläser und Konserven. Sams Blick fiel auf eine Tiefkühltruhe. »Wenn, dann dort«, sagte er. Paul öffnete den schweren Deckel. Sein Freund war neben ihn getreten. Die kühle Luft kroch an ihren Händen hoch und wurde zu einer weißlichen Schlange, die sich in die Schatten des Raumes verkroch. Die Thorps bewahrten in dieser Tiefkühltruhe ihre Fleischvorräte auf. Es gab zwei oder drei Dutzend beschriftete Pakete mit Fleisch, platzsparend auf- und ineinandergeschichtet. Paul fand es nur logisch, daß man soviel Pakete in die Truhe packte, wie überhaupt hineingingen. Ihm fiel allerdings auf, daß die Pakete nicht sortiert waren. Unten lag Schweinefleisch, darüber Rind, dann wieder Schwein. Wer die Truhe eingeräumt hatte, war in großer Eile gewesen. Paul ergriff ein fünf Pfund schweres Rindfleischpaket und legte es auf den Boden. Der tiefgefrorene Schinken, den er dann packte, wog zehn Pfund. Als nächstes kam Roastbeef. Ein Paket zu fünf Pfund und eines zu vier. Dann wieder Schinken. Schweinefleisch, zwanzig Pfund. Mark lag auf dem Boden der Truhe. Die Arme waren auf der Brust gefaltet, die Knie hochgezogen. Wer Mark getötet hatte, hatte die
Pakete mit tiefgekühltem Fleisch benutzt, um die Leiche abzudecken. Das Gesicht war blutverschmiert, die Augen wie gefrorene Milch. Sam war hinausgewankt. Er beugte sich über ein Becken in der Waschküche und erbrach sich. Paul stand da und betrachtete seinen toten Sohn. Die Wut, die Verzweiflung, die Sorge, all das war von ihm abgefallen. Ein tiefes Mitgefühl für Mark durchströmte ihn, das und eine unbeschreibliche Zärtlichkeit. »Ich bin's, Mark«, sagte er. »Jetzt ist alles gut. Ich bin bei dir, du bist nicht mehr allein.« Er hob die Fleischpakete, die noch auf der Leiche lage n, auf und schichtete sie auf die Vorräte, die er vor seinen Füßen aufgehäuft hatte. Das Grab leerte sich. Er hatte sein totes Kind freigeschaufelt, als Sam zurückkam. »Paul?« Paul sah seinem Freund in die Augen. »Ich gehe rauf. Ich rufe die Polizei an. Die Polizei im Staat Maine.« Verkrustetes Blut verschloß Marks Lippen. Um sein Kinn lag ein gefrorener roter Schleier. »Paul, hast du gehört, was ich sage?«
»Ja.«
»Ich verständige die Polizei in Maine.«
»Ja, tu das.«
»Kann ich dich hier alleinlassen?«
»Ich bin okay.«
»Sicher?«
»Mach dir keine Sorgen wegen mir.« Sam betrachtete seinen Freund. Dann wandte er sich ab und ging in den Flur. Als die Kellertreppe in Sicht kam, begann er zu laufen. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Paul beugte sich über die Truhe und streichelte die Wange seines Sohnes. Kalt. Hart.
Er hob den Leichnam aus der eisigen Gruft und legte ihn in der Mitte des Raumes auf den Boden. Er hauchte seine Hände an, um sich zu wärmen. Sam war zurückgekommen. Er war bleich wie die Wand. Er blieb vor dem Leichnam stehen und schluckte. »Mit dem Telefon stimmt was nicht«, sagte er nach einer Weile. »Der Fehler scheint in der Zentrale zu liegen. Besser gesagt in den Leitungen.«
»In den Leitungen?«
»Der Sturm hat die Freileitungen zerrissen, irgendwo zwischen Black River und Bexford.« Pauls schüttelte den Kopf. »Der Sturm? So windig ist es doch gar nicht.«
»Hier in Black River
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