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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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in seinen Blick trat, den er stets abrief, wenn es ihm gerade zupasskam.
    »Was tut Ihnen leid?«, fragte Joe.
    Maso zuckte mit den Schultern. »Niemand sollte zu etwas gedrängt werden, das sich nicht mit seinem Wesen vereinbaren lässt, Joseph, selbst wenn er damit einem Menschen helfen kann, der ihm nahesteht. Was wir von ihm und von dir verlangt haben, war nicht fair. Tja, aber was ist schon fair auf dieser Welt?«
    Joes Herz, das ihm eben noch bis zur Kehle geschlagen hatte, beruhigte sich wieder.
    Er und Maso stützten sich mit den Ellbogen auf die Brüstung und rauchten. Lichter von den Frachtkähnen auf dem Mystic River huschten durch den dichten grauen Nebel wie Sterne, die nach einer Heimat suchten. Aus den Schornsteinen der Gießereien trieben weiße Rauchschlangen in ihre Richtung. Die Luft roch nach aufgestauter Hitze und Regen, der einfach nicht fallen wollte.
    »Es war das letzte Mal, dass ich von dir oder deinem Vater so etwas verlangt habe.« Maso bekräftigte seine Worte mit einem nachdrücklichen Nicken. »Versprochen.«
    Joe sah ihm in die Augen. »Glaub ich Ihnen, Maso.«
    »Mr.   Pescatore, Joseph.«
    »Pardon«, sagte Joe, und plötzlich fiel ihm die Zigarette aus den Fingern. Zumindest sah es so aus für Maso, ebenso wie er glaubte, Joe würde sich bloß bücken, um die Kippe wieder aufzuheben.
    Doch stattdessen umklammerte Joe urplötzlich seine Knöchel und zog ihm die Füße weg, so dass der alte Mann mit dem Oberkörper über die Brüstung kippte. »Wehe, Sie schreien. Ein Ton, und ich lasse Sie los.«
    Der Alte schnappte hörbar nach Luft, während er mit den Füßen nach Joe stieß.
    »Das würde ich tunlichst lassen, sonst kann ich Sie nämlich nicht mehr halten.«
    Es dauerte ein paar Sekunden, doch dann hielt Maso still.
    »Haben Sie irgendwelche Waffen dabei? Und lügen Sie mich nicht an.«
    Masos gepresste Stimme drang an seine Ohren. »Ja.«
    »Wie viele?«
    »Bloß eine.«
    Joe ließ seine Knöchel los.
    Der Alte wedelte mit den Armen, als würde er sich auf seinen Abflug vorbereiten. Er rutschte noch ein Stück weiter über die Brüstung, und sein Kopf und der Oberkörper verschwanden in der Dunkelheit. Wahrscheinlich lag ihm der Todesschrei bereits auf der Zunge, doch Joe krallte die Finger in seinen Hosensaum und stemmte sich mit der Ferse gegen die Mauer.
    Maso gab eine Reihe seltsamer Laute von sich, irgendwo zwischen Keuchen und Wimmern; er klang wie ein ausgesetztes Neugeborenes.
    »Wie viele?«, wiederholte Joe.
    Eine Weile war nur Masos Keuchen zu hören. Dann: »Zwei.«
    »Wo?«
    »An meinem Knöchel und in meiner Tasche. Ein Rasiermesser und Nägel.«
    Nägel? Als Joe mit der freien Hand Masos Taschen abklopfte, ertastete er ein merkwürdiges Gebilde. Vorsichtig förderte er es zutage; auf den ersten Blick hätte er das Ding womöglich mit einem Kamm verwechselt – ein Stück Metall, an dem vorn vier kurze Nägel und hinten vier unförmige Ringe festgelötet waren.
    »Ein Schlagring?«, sagte Joe.
    »Ja.«
    »Wie hässlich.«
    Er legte ihn auf die Brüstung, ehe er das Rasiermesser aus Masos Socke fischte – eine Wilkinson-Klinge mit Perlmuttgriff – und ebenfalls auf der Mauer plazierte.
    »Na, ist Ihnen schon schwindelig?«
    »Ja«, ertönte es gedämpft.
    »Tja, das war zu erwarten.« Joe zog an Masos Hosensaum. »Sind wir uns einig, Maso? Dass Sie mausetot sind, wenn ich Sie loslasse?«
    »Ja.«
    »Wegen Ihnen habe ich ein Loch von einem verdammten Kartoffelschäler in meinem Bein.«
    »Ich… ich…«
    »Was? Ich kann Sie nicht verstehen.«
    »Ich habe dir das Leben gerettet«, zischte der Alte.
    »Um an meinen Vater heranzukommen«, gab Joe zurück. Maso stieß einen Schmerzenslaut aus, als Joe ihm den Ellbogen in den Rücken rammte.
    Maso rang hörbar nach Luft. »Was willst du von mir?«
    »Emma Gould – sagt Ihnen der Name etwas?«
    »Nein.«
    »Albert White hat sie auf dem Gewissen.«
    »Nie von ihr gehört.«
    Joe zerrte ihn über die Brüstung und wirbelte ihn herum. Dann trat er einen Schritt zurück und wartete, bis der alte Mann wieder einigermaßen zu Atem gekommen war.
    Joe streckte die Hand aus und schnippte mit den Fingern. »Die Uhr.«
    Maso gehorchte. Er griff in die Hosentasche und reichte Joe die Uhr. Fest schloss Joe die Finger um sie, spürte, wie das Ticken in seinen Blutkreislauf überging.
    »Mein Vater ist heute gestorben«, sagte er. Ihm war durchaus bewusst, dass es nicht sonderlich viel Sinn ergab, derart abrupt das Thema zu

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