In der Oase
dir sind. Sie stoßen auf Wawat-Gebiet vor. Meinen Medjai habe ich noch nichts davon erzählt. Wenn ich das täte, würden sie auf der Stelle aufbrechen und zurück nach Hause wollen, um ihre Dörfer zu verteidigen.« Anchmahor legte die Stirn in Falten.
»Ich weiß wenig über die Gebiete hinter den Katarakten«, sagte er, »aber ich erinnere mich noch an meinen Geschichtsunterricht. Die Kuschiten haben schon immer mit Wawat geliebäugelt. Warum?«
»Gold«, sagte Ahmose beiläufig. Er lag auf der Seite und stützte den Kopf in die Hand. »Wawat hat Gold, und das will Kusch für seinen Handel haben. Unsere Vorfahren haben mehrere Festungen in Wawat allein zum Schutz des Goldes gebaut. Ich erinnere mich nämlich auch an meinen Unterricht. Die Geschichte des Landes hinter Waset ist für uns im Süden sehr wichtig. Wawat ist unser Nachbar.«
»Wie sehr drängt die Sache, müssen wir eingreifen?«, fragte Kamose den General bedrückt.
»Noch nicht unbedingt«, sagte Hor-Aha. »Aber wenn Deine Majestät den Medjai nicht gestattet heimzugehen, werden sie nicht mehr gut kämpfen.« Kamose dachte rasch.
»Ob wohl Teti-en hinter den Unruhen steckt?«, überlegte er laut. »Aber ich kann nicht nach Norden ziehen, wenn sich im Süden möglicherweise eine neue Kriegsfront bildet. Hat Teti-en ein Auge auf Waset geworfen?«
»Das glaube ich nicht«, hielt Ahmose dagegen. »Anscheinend ist ihm Apophis’ Notlage völlig einerlei. Eher macht er es sich zunutze, dass wir im Norden beschäftigt sind, fällt in Wawat ein und verleibt es sich für seine eigenen Zwecke ein. Wenn er es erst einmal unter Kontrolle hat, kontrolliert er auch unsere uralten Festungen. Ob das seinem Ehrgeiz weitere Nahrung gibt?«
»Mit Verlaub, Prinz, aber für meine Stammesbrüder und mich stellt sich die Frage anders«, brauste Hor-Aha auf. »Ihr braucht die Medjai dringend. Sie haben einen langen Weg hinter sich, um für euch zu kämpfen. Jetzt erwarten sie, dass ihr für sie kämpft.«
»Wie, nach Wawat ziehen?« Ahmose kniff die Augen zusammen. Kamose nahm den Arm vom Feldbett und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Sein Blick kreuzte sich mit Hor-Ahas, und zum ersten Mal las er darin eine Herausforderung. Die Erkenntnis gab ihm einen Ruck.
»Sag, General, gehören die Medjai meinem Heer an oder sind sie lediglich Verbündete?«, fragte er sachlich. »Wer hat den Oberbefehl, du oder ich? Ist hier die Rede von Meuterei oder von Rechten, die aus einem Bündnis erwachsen?«
»In der Tat ein heikler Punkt«, sagte Ahmose beschwichtigend, »einer, den wir bislang nicht berücksichtigen mussten. Tun wir ihn fürs Erste beiseite, Kamose. Falls Wawat von Teti-en Gefahr droht, ist vielleicht auch Waset in Gefahr. Es wäre sinnvoll, eine kleine Strafexpedition nach Süden zu schicken. Wir können während der Überschwemmung nach Süden gehen.«
»Ich stehe in deiner Schuld, Hor-Aha, und in der der Medjai«, sagte Kamose so ruhig er konnte. »Du musstest mich nur um Hilfe bitten. Ich habe dir immer vertraut. Hättest du mir nicht auch vertrauen können?« Es freute ihn, als er sah, dass die Augen des Mannes auswichen und er den Blick senkte.
»Verzeih, Majestät«, sagte er leise. »Ich sorge mich, dass man die Medjai für wankelmütige Wilde hält wie die Fürsten, die sie und mich verachten. Ihre Heimat ist in Gefahr. Für sie kommt jetzt das Wohl Ägyptens nicht mehr an erster Stelle. In mancher Hinsicht sind sie tatsächlich so schlicht wie Kinder. Ich bitte dich in aller Demut, hilf uns in Wawat.«
In aller Demut?, dachte Kamose und hob seinen Becher. In deinem kräftigen, dunklen Leib gibt es keine einzige demütige Faser, mein schlauer General. Falls ich wirklich nach Wawat ziehe, dann nicht, um deinen halbwilden Fremdländern ein paar baufällige Hütten zurückzugeben. »Bring mir die Botschaft, die du erhalten hast«, sagte er. »Ich möchte sie sehen. Was du erbittest, erfordert zumindest einige Planung, Hor-Aha, und ich bin müde. Es ist ein langer Tag gewesen. Bring sie mir morgen.« Es war klar, dass Hor-Aha vollkommen verstanden hatte. Er stellte seinen Becher ab, stand auf und verbeugte sich.
»Du bist gütig, Majestät«, sagte er tonlos, drehte sich um und stolzierte aus dem Zelt. Anchmahor erhob sich auch und entschuldigte sich.
In der darauf folgenden Stille, die nur bis zum Rand des freundlichen Lampenlichts reichte, blickten sich die Brüder an. Draußen war noch immer der Lärm des Zechgelages zu hören. Dann sagte Ahmose:
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