In der Oase
Mal gesehen habe, hat sie auch Waffen dabeigehabt, dachte Kamose und der Atem stockte ihm, aber es waren meine, und sie hat sich von mir entfernt. Dieses Mal kommt sie auf mich zu. Wenn sie aufschaut, kann ich ihr Gesicht sehen! Er lief zur Dachkante und blickte mit hämmerndem Herzen nach unten, spannte sich mit jeder Faser, sah hin zu der Vision, die jetzt den Uferpfad erreicht hatte und in seine Richtung kam. Er ballte die Fäuste, beschwor sie, den Kopf zu heben, doch sie ging weiter und gab nichts preis außer dem Blick von oben auf ihren Helm und ihren hoch gewachsenen, wohlgeformten Leib.
Sie war fast auf gleicher Höhe mit ihm, da merkte er, dass neben dem Pfad im Staub ein Kasten lag, dessen Deckel aufgeklappt war, sodass man den Inhalt sehen konnte. Er war so von Ehrfurcht ergriffen, dass er kurz die Frau vergaß, denn in dem Kasten lagen, auf erlesenes Leinen gebettet, die königlichen Insignien. Langsam glitt das Licht über die geschwungene weißrote Doppelkrone und funkelte auf dem Gold, Lapislazuli und dem Jaspis von Krummstab und Geißel zu beiden Seiten. Während er wie gebannt zusah, traten zwei Füße in Sandalen in sein Blickfeld. Die Frau war stehen geblieben. Jetzt hebt sie den Kasten auf, dachte Kamose aufgeregt. Sie wird ihn mir bringen. Die Frau bückte sich, legte die Waffen behutsam und ehrerbietig zu beiden Seiten des Kastens ab, dann hob sie die nackten Arme und verneigte sich tief vor den heiligen Symbolen der ägyptischen Könige. Doch sie fasste sie nicht an, sondern richtete sich auf, wandte sich in Richtung der großen Bresche in der Palastmauer, wo einst das Haupttor gewesen war, und verschwand aus Kamoses Blick.
Er schrie auf, fuhr herum, rannte die Treppe hinunter, die zu den Frauengemächern führte, und wollte ihr entgegenlaufen, doch nach dem ersten Schritt war er wie gelähmt und konnte sich nicht bewegen. Er biss die Zähne zusammen und beschwor seine Füße, zu gehorchen. Er meinte sie durch das Dunkel unten kommen zu hören. Ihre Füße waren auf der Treppe. Sie stieg hoch und ihr Schritt war sanft und sicher. Sie kommt zu mir!, rief er stumm. Endlich erfüllt sich mein Herzenswunsch, meine verletzte Seele kann genesen. Ich bin dir treu gewesen, du geheimnisvolle Abgesandte der Götter. Ich habe mich nach keiner anderen Umarmung gesehnt, nur nach deiner. Heile mich. Heile mich!
Sie hatte das Dach erreicht. Eine zierliche Hand bog sich um die raue Kante des Windfangs. Ein braunes Knie hob sich. Er erhaschte einen einzigen Blick auf ihr verschwommenes Gesicht, auf dunkle Mandelaugen, eine runde Wange. Sie sang für ihn mit hoher, zwitschernder Stimme wie ein Vogel, und dann war er auf einmal wach, keuchte und umklammerte in der frühen, windstillen Morgendämmerung den Windfang mit zitternden Händen.
Verstört von dem schmerzlichen Verlust, stolperte er zu der Stelle, wo man die gähnende Lücke in der alten Mauer sehen konnte. Kurz meinte er, im frühen Morgenlicht den Kasten noch neben dem Pfad zu erblicken, doch da war nur festgetretene Erde und kümmerliches Gras und der kühl fließende Fluss.
Er hatte baden, essen und dann zum Tempel gehen und Amunmose begrüßen und sich mit ihm hinsichtlich eines großen Dankfestes im Palast beraten wollen, doch stattdessen ging er im Garten auf und ab, bis er nicht mehr zitterte und sein Kopf wieder klar war. Im Haus rührte es sich, als er zu den Gemächern seiner Schwester ging. Diener, beladen mit frischer Wäsche, Krügen mit Wasser und Tabletts, von denen der appetitliche Geruch frisch gebackenen Brotes hochstieg, verbeugten sich vor ihm, als er dahinschritt. Reisigbesen wirbelten Staub auf. Türen standen offen. Kamose hörte irgendwo draußen Beheks tiefes, herrisches Bellen.
Er erreichte Aahmes-nofretaris Tür und klopfte. Kurz darauf ging sie auf und Raa blickte ihn forschend an. »Ist mein Bruder drinnen?«, fragte Kamose. Die Dienerin schüttelte den Kopf.
»Nein, Majestät. Der Prinz ist gerade zum Schwimmen im Fluss gegangen.«
»Falls Aahmes-nofretari wach ist, möchte ich sie sprechen. Melde mich bitte.« Raa verbeugte sich und machte die Tür zu. Kamose wartete, dann ließ sie ihn ein.
Der Raum ging nach Osten wie alle Schlafgemächer der Familie, sodass man die sanftere Morgensonne genießen konnte, jedoch der Hitze der Nachmittagssonne entging. Über einem Stuhl hing das Hemdkleid, das Aahmes-nofretari an diesem Tag tragen würde, und der stand unweit des Fensters und dicht daneben ihr Kosmetiktisch, der
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