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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Raum ging auf den festgetretenen Weg zur Bootstreppe, auf dem jetzt seine Getreuen, in eine Unterhaltung vertieft, schlenderten. Ihre Stimmen wehten zu ihm herüber, nicht jedoch die Worte, die sie sprachen, und gleich darauf waren sie nicht mehr zu sehen.
    Ihm fiel auf, dass er in Zeiten vergleichbarer Krisen immer die Einsamkeit und den Trost des alten Palastes gesucht hatte, doch heute hatte er unbewusst lieber den Boden seiner Gemächer gewählt. Gram und Zorn packten ihn, und endlich konnte er diese Gefühle zulassen. Die Wut war vertraut und wohl bekannt, ein Gefühl, gegen das er angekämpft hatte, seit Apophis gekommen war und seine Familie abgeurteilt hatte, eine finstere Wut bisweilen sogar auf die Götter, die ihm dieses schmerzliche Los beschieden hatten.
    Doch der Kummer tat unsäglich weh, rührte aus Einsamkeit, Verrat und geistiger Erschöpfung. Brennend heiß kam es aus seinem Herzen geschossen, und auf einmal konnte er die Tränen weinen, die er sich bislang nicht gestattet hatte. Jetzt ließ er sie kommen, legte den Kopf auf die Arme und weinte bitterlich. Als er dann mit verquollenen Augen und Tränen auf Gesicht, Hals und Brust aufblickte, war die Sonne untergegangen und das Zwielicht kroch warm und dunkel durch den Garten.
    Wie gern wäre ich wieder ein Kind, dachte er beim Aufstehen. Dann wäre ich sechs Jahre alt, säße mit meinem Lehrer unter einem Baum und schriebe Hieroglyphen auf Tonscherben ab. Ich sehe noch immer meine Hand, wie sie die Schreibbinse umklammert, fühle meine Zunge zwischen den Zähnen, weil Schreibenlernen so mühsam ist. In jenen Tagen herrschte Amun im Tempel und er war nur etwas allmächtiger als Vater, der alles wusste und alles konnte. Das Leben war glücklich und überschaubar. Regelmäßig wurde mir Essen vorgesetzt und ich habe das für normal gehalten. Der Fluss ist nur für mich allein geströmt, nur für meine Spielzeugboote und er hat mit mir gespielt, wenn ich mich nackt in seine kühle Umarmung gestürzt habe. Ich habe genauso wenig nachgedacht wie ein kleines, gesundes und gut versorgtes Tier, ich habe in der Ewigkeit gelebt und nicht gewusst, dass die Zeit vergeht.
    Unsicheren Schrittes ging er zum Wasserkrug neben seinem Lager, befeuchtete ein Tuch und wischte sich das Gesicht, entzündete seine Lampe wegen der zunehmenden Dunkelheit, dann nahm er sich seinen Kupferspiegel. Seine eigenen Züge starrten zurück, verzerrt vom Weinen, aber noch immer jung und schön, die Nase scharf, der Mund voll, die Augen, die Augen seines Vaters, dunkel und klug. Eine schwarze Locke war ihm in die braune Stirn gefallen und die schob er mit einer Geste zurück, die ihn jäh an die Hände seiner Mutter erinnerte, Finger, die ihm durchs Haar fuhren, das immer zerzaust war, die leise Stimme, die betrübt ausgerufen hatte: »Kamose und Si-Amun, woher habt ihr nur diesen abartigen Haarschopf?« Ja, woher?, fragte sich Kamose und die polierte Oberfläche des Spiegels gab die Bewegung seiner Lippen wieder. Von irgendeinem unbekannten Bewohner Wawats vielleicht? Lügen, schreckliche Lügen, brauste er innerlich auf. Alle lügen. Apophis, Mersu, Si-Amun, Teti, Tani, die Fürsten mit ihrer Schmeichelzunge und ihrem falschen Lächeln. Und du, Amun. Lügst du auch? Habe ich meine Jahre vergeudet, bin ich einem Trugbild nachgelaufen?
    Er schüttelte den Kopf, legte den Spiegel hin und prüfte sich, die langen Beine mit den festen Muskeln, die breite Brust, die kräftigen Arme und die biegsamen Handgelenke. Er war sich bewusst, dass ihn die Ereignisse des Tages vorübergehend verstört, ihm eine neue Sicht vermittelt hatten, doch er war zu ausgelaugt zum Kämpfen, obwohl er die Gefahr spürte. Ich habe für Ägypten gelebt, so wanderten seine Gedanken. Ich habe mich an ein Ideal geklammert wie eine Jungfrau an ihre Unschuld, aber anders als die meisten Jungfrauen habe ich meinem Ideal gestattet, mich zu beherrschen. Alles andere habe ich weggeworfen. Verschwendet. Eingehend und gesammelt beobachtete er, wie das Lampenlicht auf den Hügeln und Tälern seines Leibes, seines jugendlichen Leibes, seines kräftigen Leibes, spielte. Er nahm den Schurz ab und betrachtete sein Geschlecht, den schwarzen Pelz, in dem seine Männlichkeit ruhte, und Verzweiflung überkam ihn. Dich habe ich auch verschwendet, dachte er. Dich geopfert, alles für ein einziges Wort geopfert. Freiheit. Und was habe ich dir als Belohnung zu bieten? Zwei Jahre fürchterlichen Kampf, dessen Früchte in einer einzigen

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