In der Oase
Löwenmäuler am Ende jeder Armlehne brüllten eine Warnung. Isis’ und Neiths zierliche Flügel aus Türkis und Lapislazuli erhoben sich wie Fächer aus den Armlehnen, und unter ihnen schritt je ein König mit Krummstab und Geißel in der Hand, hinter sich Hapi und vor sich Re. Ramose konnte sich das große Horusauge vorstellen, das die ganze Rückseite ausfüllte, das Wadjet-Auge, das den König vor jedem Angriff von hinterrücks schützte. O Kamose, sagte Ramose lautlos. Lieber Freund. Strahlende Majestät. Werden dir diese heiligen Anchs jemals Leben einhauchen? Wird die Göttin dich jemals entzückt mit ihren schützenden Flügeln umfangen? Verspüren sie jedes Mal die gleiche Erniedrigung wie du, wenn Apophis seinen fremdländischen Leib auf dieses kühle Gold setzt und seine Füße auf den königlichen Schemel stellt?
Neben ihm hüstelte jemand höflich. Ein Mann ganz in Weiß und mit einem weißen Stab mit Silberspitze wartete. »Ich bin der Oberste Herold Yku-Didi«, sagte er. »Folge mir.« Er wandte sich im Saal zur rechten Seite der Estrade, und als ihn die Soldaten auf die Tür zukommen sahen, öffneten sie ihm. »Der Edle Ramose«, meldete er.
Ihm wollte scheinen, der Raum war voller Menschen. Apophis selbst, prächtig anzusehen in golddurchwirktem gelbem Leinen und gelbem Kopftuch, stand vor einem großen Tisch. Zu seiner Rechten saß ein jüngerer Mann, den Ramose nicht erkannte, doch die Ähnlichkeit mit dem König machte ihn zu einem weiteren Sohn. Zu seiner Linken saß jemand, den Ramose zu kennen meinte. Dunkel, grobe Züge und eine Nase, die das Gesicht beherrschte. Er war weder geschminkt noch geschmückt, abgesehen von einem dicken Goldreif um den muskulösen Oberarm. Um den Kopf hatte er sich ein schlichtes, schwarzweiß gestreiftes Tuch gebunden, darunter scharfe schwarze Augen. Neben ihm beobachtete ein anderer Mann Ramose quer durch den Raum mit einigem Interesse. Er trug ein rotes Band im lockigen schwarzen Haar, und sein Bart glänzte von Öl. Hinter Apophis stand der Wesir, den Ramose am vergangenen Tag gesehen hatte, und zu seinen Füßen hatte sein Schreiber sich die Palette bereits auf die Knie gelegt.
Anfangs sah Ramose den Setiu nicht, den er mittlerweile als seinen bezeichnete. Er ging wie der Oberste Herold ganz in Weiß. Sein Bart war verschwunden und sein Haar sehr kurz geschnitten. Hätte er nicht so unendlich teilnahmslos geblickt, Ramose hätte ihn wohl nicht wieder erkannt. Tatsächlich ein königlicher Herold. Würde Kamose ihn so bereitwillig freigelassen haben, wenn er gewusst hätte, dass er mehr war als ein gewöhnlicher Soldat? Er überflog, was auf dem Tisch lag, während er sich innerlich Ruhe zusprach. Rollen, darunter Kamoses Brief, Teller mit Honigkuchen und Feigen, ein paar Weinbecher, zwei Kruken und eine Landkarte der westlichen Wüste, die ausgebreitet unter Apophis’ schlanken, gepflegten, beringten Fingern lag. Ramose unterdrückte ein Frösteln. Die Zeit, sich zu beweisen, war gekommen.
»Wie ich sehe, hast du dich von deiner anstrengenden Reise erholt, Ramose, Sohn des Teti«, sagte Apophis, und sein hennaroter Mund bog sich zu einem schmalen Lächeln. »Gewaschen und ausgeruht. Gut. Ich möchte, dass du weißt, wer hier zugegen ist.« Warum beharrt er so darauf, meinen Namen mit dem meines Vaters zu verbinden, fragte sich Ramose leicht gereizt. Das hat er letzte Nacht auch schon getan. Glaubt er etwa, dass er mich dadurch an die Treue meines Vaters zu ihm und an das Schicksal erinnern kann, das dieser seinetwegen erlitten hat? Als ob man mich daran erinnern müsste! »Zu meiner Rechten mein ältester Sohn, der Falke-im-Nest, Apophis«, sagte der König jetzt. »Zu meiner Linken General Pezedchu und neben ihm General Kethuna, Befehlshaber meiner Leibwache.« Natürlich, Pezedchu, sagte sich Ramose. Der fähigste Taktiker, den Apophis hat. Seqenenres Untergang und der Dorn, der Kamoses Rachedurst anstachelt. »Hinter mir mein Wesir und Hüter des Königlichen Siegels, Peremuah. Meinen Herold Yamusa kennst du bereits. Und vor mir…«, seine langen Finger strichen die Landkarte glatt, »… ein Gegenstand, der uns alle angeht. Yamusa hat uns Erstaunliches berichtet. Wir möchten, dass du das bestätigst. Und wir verstehen jetzt, wie er gefangen werden konnte.« Das Lächeln verschwand. »Seit wann hat Kamose Truppen in der Oase Uah-ta-Meh einquartiert?«
»Das kann ich nicht sagen, Majestät.«
»Wie lange will er sie dort behalten?«
»Das kann ich
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