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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ausbreiteten.
    Zärtlich berührte er ihre Wange. Sie öffnete ihre blutunterlaufenen Augen und versuchte seinen Blick zu erwidern.
    »Ich bin’s«, flüsterte er. Er sah, dass sie sich gegen die Fesseln an ihren Handgelenken sträubte, und nahm ihre Hand in die seine. »Du musst den Arm stillhalten, Diana. Wegen des Zugangs.«
    »Ich kann dich nicht sehen.« Sie schluchzte. »Ich kann gar nichts sehen.«
    »Ich bin hier. Ich bin ganz nahe bei dir.«
    »Ich will nicht so sterben.«
    Die Tränen traten ihm in die Augen, und die Worte lagen ihm schon auf der Zunge, falsche Worte des Trostes; dass sie nicht sterben würde, dass er es nicht zulassen würde. Doch er brachte sie nicht über die Lippen. Sie waren immer ehrlich zueinander gewesen; und auch jetzt würde er sie nicht anlügen. Und so schwieg er.
    Sie sagte: »Ich hätte nie gedacht …«
    »Was?«, ermunterte er sie sanft.
    »Dass es … einmal so passieren würde. Keine Chance, den Helden zu spielen. Einfach nur krank und nutzlos.« Sie lachte kurz auf und verzog gleich darauf vor Schmerzen das Gesicht. »Unter einem Abgang mit Glanz und Gloria … hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.«
    Ein Abgang mit Glanz und Gloria.
So stellte jeder Astronaut sich den Tod im Weltraum vor. Ein kurzer Augenblick des Schreckens, und dann das rasche Ende. Plötzlicher Druckabfall oder ein Brand. Nie hätten sie an einen Tod wie diesen gedacht – langsam und qualvoll einzugehen, während der Körper allmählich von einer fremden Lebensform verzehrt und verdaut wurde. Von der Erde im Stich gelassen. Still und leise dem Wohl der gesamten Menschheit geopfert.
    Verzichtbar. Für sich selbst konnte er das akzeptieren, aber er konnte nicht akzeptieren, dass Diana verzichtbar sein sollte. Er konnte nicht akzeptieren, dass er sie verlieren würde.
    Es war schwer zu glauben, dass sie ihm an dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal beim Training im JSC begegnet waren, kalt und abweisend vorgekommen war, eine unterkühlte Blondine mit übersteigertem Selbstbewusstsein. Ihr britischer Akzent hatte ihn auch gestört; er ließ sie so überheblich klingen. Überkorrekt und kultiviert im Vergleich zu seinem breiten texanischen Dialekt. Nach einer Woche war die gegenseitige Abneigung so ausgeprägt gewesen, dass sie kaum miteinander gesprochen hatten.
    In der dritten Woche hatten sie auf Gordon Obies Drängen widerstrebend Frieden geschlossen.
    Nach acht Wochen war Griggs bei ihr zu Hause aufgetaucht. Zuerst nur auf einen Drink; zwei Profis, die ihre bevorstehende Mission diskutierten. Dann war die Fachsimpelei Gesprächen von zunehmend persönlicher Natur gewichen: Griggs’ unglückliche Ehe. Die unzähligen Interessen, die er und Diana teilten. Am Ende hatte natürlich das Unvermeidliche gestanden.
    Sie hatten niemandem im JSC etwas von ihrer Affäre verraten. Erst hier in der Station war ihre Beziehung für ihre Kollegen offensichtlich geworden. Hätte es zuvor auch nur den Hauch eines Verdachts gegeben, hätte Blankenship sie sofort von der Mission abgezogen. Selbst heutzutage galt eine Scheidung noch als Fleck auf der weißen Weste eines Astronauten. Und wenn diese Scheidung das Resultat einer Liaison mit einem anderen Mitglied des Korps war – nun, dann bedeutete dies für den Betreffenden das Ende aller Flugeinsätze. Griggs wäre zu einem unsichtbaren Korpsmitglied degradiert worden, für immer zu einem Schattendasein verurteilt.
    Er liebte sie seit zwei Jahren. Zwei Jahre lang hatte er sich nach ihr gesehnt, wenn er neben seiner schlafenden Frau gelegen hatte, und hatte hin und her überlegt, wie sie mehr Zeit zusammen verbringen konnten. Eines Tages
würden
sie zusammen sein, und wenn er dafür aus der NASA ausscheiden musste. Das war der Traum, der ihm geholfen hatte, all diese unglücklichen Nächte zu überstehen. Und auch nach diesen zwei Monaten auf engstem Raum, auch nachdem sie hier und da heftig aneinander geraten waren, hatte er nicht aufgehört, sie zu lieben. Er hatte den Traum nie aufgegeben. Bis zu diesem Moment.
    »Welcher Tag ist heute?«, murmelte sie.
    »Freitag.« Er strich ihr wieder sanft über das Haar. »In Houston ist es jetzt siebzehn Uhr dreißig. Happy Hour.«
    Sie lächelte. »Endlich Freitag!«
    »Jetzt sitzen sie gerade an der Bar. Chips und Margaritas. Mensch, so einen kräftigen Drink könnte ich jetzt auch gut gebrauchen. Und dazu ein toller Sonnenuntergang. Wir beide zusammen am See …«
    Die Tränen, die auf ihren Wimpern glitzerten, brachen

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