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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Baedecker schwingt noch einmal einen vollen Bogen nach vorn, seine gebrochenen Füße berühren fast die oberen Zweige und die Blumen brennenden Treibstoffs, seine Lungen atmen die giftigen Dämpfe und die Hitze ein. Dann hängt er zwei endlose Sekunden unter dem Seidenbaldachin, wie Gott und der Mensch es gewollt haben, gleitet vorwärts wie ein Tourist unter einem Drachenflieger, der von einem Boot gezogen wird, aber er hat kein Wasser unter sich, sondern einen Morgen zerklüftete Baumstümpfe und Äste, zehntausend Punji-Pfähle, die innerhalb von drei Sekunden gewaltsamen Absturzes geschaffen wurden, und Flammen soweit das Auge reicht, Flammen rings um ihn herum und über ihm, die bereits mit rasiermesserscharfen Zungen nach seinem Anzug und den Seilen und seinen schmerzbetäubten Füßen lecken, welche in unmöglichen Winkeln unter ihm hängen; noch zwei Sekunden, und er wird in diesem Flammenmeer spitzer Pflöcke und glühenden Treibstoffs landen, er wird auf diesen gebrochenen Knöcheln und gesplitterten Knöcheln landen, Körper und Fallschirm werden in der Hitze in Flammen aufgehen, seine Haut wird sieden wie eine Gottesanbeterin, die kocht und im Feuer aus ihrem eigenen Panzer platzt.
    Und Baedecker wacht auf.
    Er wacht auf und greift wie immer über sich nach den Seilen des Fallschirms, ertastet aber statt dessen Armlehne und Wand. Er erwacht wie immer stumm und schweißgebadet und erinnert sich an jede Einzelheit, an die er sich während der schmerzgebeutelten Stunden bei Bewußtsein nach dem Absturz oder in den schmerzgeplagten zehn Wochen langsamer Rekonvaleszenz im Krankenhaus hinterher nicht erinnern konnte nicht einmal in den drei Jahren nach dem besagten Augusttag, bis zu der Nacht, als er den Traum zum ersten Mal hatte und genau wie jetzt erwachte, um sich greifend und schweißgebadet und mit einer vollkommen klaren Erinnerung an das, woran man sich nicht erinnern kann.
    Aber dieses Mal war der Traum anders. Baedecker schwingt die Füße auf den Boden, stützt den Kopf in zitternde Hände und versucht, den Unterschied zu sehen.
    Und er sieht ihn.
    Das Armaturenbrett ist rot, der Stauflugalarm heult, Baedecker spürt das Flugzeug Bauch voraus auf die Bäume zuschlingern. Es gibt kein Entrinnen vor diesem starken Sog, die Erde zieht ihn nach unten. Aber Baedecker zieht den Knüppel bis an den Bauch, duckt sich und zieht den D-Ring, obwohl er weiß, daß nicht genug Zeit ist, sieht zertrümmerte Zweige mit der Cockpithaube nach oben fliegen, dann in Zeitlupe die vertraute Erlösung, als der Schleudersitz sich aus dem Sarg des zerfallenden Rumpfes erhebt und langsam wie ein viktorianischer Fahrstuhl, ohne besondere Hast, in die Höhe steigt, und als Baedeckers helmgeschützter Kopf die Sichtlinie des Deflektorspiegels passiert, der über den Cockpitinstrumenten angebracht ist, sieht er sich eine Sekunde selbst, das Visier reflektiert den Spiegel, der das Visier reflektiert, und als er noch höher steigt, kann er sehen, was er vergessen hat, woran er in der Not des Augenblicks des Überlebens nicht gedacht hat was er selbstverständlich immer gewußt, niemals wirklich vergessen, sondern im panischen Moment des Überlebens lediglich übersehen hat -, er erblickt Scott auf dem Rücksitz; Scott, der heute mitgeflogen ist und ihm nach wie vor vertraut; Scott, etwa sieben Jahre alt, mit Bürstenschnitt und Cape Canaveral-T-Shirt, und seine Augen sehen immer noch voller Vertrauen in den Spiegel, er wartet darauf, daß sein Vater etwas tut, er empfindet noch keine Angst, nur Vertrauen, und dann ist Baedekker über ihm in Sicherheit doch welch schmerzvolle Sicherheit! -, und er schreit Scotts Namen, noch während er langsam den kreisenden Wellen der Flammen entgegensinkt.
    Baedecker steht auf und geht zwei Schritte zum Fenster. Er drückt die Wange gegen das kalte Glas der regennassen Scheibe und spürt überrascht, wie ihm Tränen die Wangen hinab laufen. In den frühen Morgenstunden preßt Baedecker das Gesicht gegen die kalte Glasscheibe und weiß jetzt ganz genau, warum Dave gestorben ist.
     
    Baedecker bricht vor der Dämmerung auf, damit er um 7 Uhr 30 in Tacoma sein kann. Einige Mitglieder der Untersuchungskommission sind alles andere als glücklich, hier zu sein, aber um 8 Uhr 15 sitzt er und hört den sechs Männern zu und redet selbst kurz, als sie fertig sind, und um 9 Uhr ist er schon wieder auf dem Weg nach Süden und Osten und fährt oberhalb von Dalles nach Oregon ein. Es ist ein grauer,

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